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Börsen-Zeitung: Viele Wege nach London, Leitartikel von Claus Döring zur Jahrespressekonferenz der Deutschen Börse AG

Frankfurt (ots)

Um Argumente ist Werner Seifert selten verlegen.
„Wenn jemand Coca- Cola kauft, ändert er weder den Brand noch die
Formel“, rechtfertigt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse AG
die nach Meinung von Kritikern zu weit reichenden Zugeständnisse der
Deutschen Börse an die umworbene London Stock Exchange (LSE). Doch es
geht nicht um Marke oder Formel des Erfolgsrezepts in London. Was am
Finanzplatz in Frankfurt auf den Magen schlägt, ist die Sorge, dass
der sich etablierende Getränkemonopolist nach dem Zukauf auch
hierzulande nur noch Cola servieren könnte.
Die Wahrscheinlichkeit für Cola in Frankfurt ist gestiegen. Denn
die Erwartung eines Bieterwettstreits, der den Preis für die Londoner
Börse kräftig nach oben treibt, weicht einer realistischeren
Einstellung. Der LSE-Kurs nähert sich – von 590 Pence kommend – dem
angebotenen Preis von 530 Pence. Ist die Luft schon raus? Dies sei
ein guter Preis und vor allem der einzige Preis, dies zu betonen wird
Seifert nicht müde. Damit hat er Recht, solange der Konkurrent
Euronext nicht aus der Deckung kommt. Da mag die Vierländerbörse
doppelt so hohe Synergien errechnen und eine Boardstruktur nach
angelsächsischem Vorbild in Aussicht stellen – für die LSE-Aktionäre
ist am Ende des Tages allein der Preis ausschlaggebend. Dass seit
Bekanntwerden des Frankfurter Übernahmeplans etwa 80% des LSE-
Aktienkapitals die Hände gewechselt hat, spricht für sich.
Ein weniger leichtes Spiel wird Seifert mit seinen eigenen
Aktionären haben. Zwar betont die Deutsche Börse auf der einen Seite,
mit 100% „Free Float“ nicht von strategischen Investoren abzuhängen,
ja begrüßt ausdrücklich „die Pluralität der Zielsetzungen“ ihrer
Aktionäre. Auf der anderen Seite zeigt der Vorstand ausgerechnet
seinen beiden größten institutionellen Investoren, die sich mit mehr
als 5% der Stimmen zu erkennen gegeben haben, die kalte Schulter –
nur weil sie Seiferts London-Offerte explizit ablehnen und für Wert
vernichtend halten. Welchen Zielen oder Grundsätzen fühlt sich der
Vorstand der Deutschen Börse eigentlich verpflichtet? Versteht er
sich gar als sein eigener Herr?
Reduziert auf die Aktionärssicht kann der angestrebten
LSE-Übernahme aber auch Charme abgewonnen werden. Die Vorteile liegen
weniger in den angeblichen Synergien von gut 100 Mill. Euro. Für
einen Preis von 2 Mrd. Euro wären sie viel zu teuer erkauft. Der
Vorteil resultiert aus dem Renditehebel, der durch die Veränderung
der Kapitalstruktur entsteht. Hatte die Börse zur Vorbereitung der
LSE- Übernahme gezielt Liquiditätspolster angesammelt, die im Laufe
des Jahres noch bis auf 1 Mrd. Euro anschwellen werden, wird die zu
üppige Bilanzstruktur nach einer Übernahme auf ansprechendere
Proportionen zurückgeführt. Die Aktionäre dürfen sich auf steigende
Dividendenausschüttungen und einen für 2006 versprochenen
Aktienrückkauf im Volumen von 200 Mill. Euro freuen. Die
Eigenkapitalrendite nach Steuern wird einen Sprung machen, nachdem
sie in den beiden zurückliegenden Jahren bei 11% stagnierte.
Seifert will die Aktionäre bei Laune halten. Selbst für 2004 soll
die Ausschüttung um 27% erhöht werden, obwohl das Unternehmen beim
operativen Ergebnis auf der Stelle trat und mit Blick auf die LSE-
Offerte jeder Euro Liquidität gebraucht wird. Die progressive
Dividendenpolitik verwundert umso mehr, als die Deutsche Börse zu 93%
institutionellen Investoren gehört, die üblicherweise eher an
Kursgewinnen und an Aktienrückkäufen interessiert sind als an
Barausschüttungen.
Wer dem Shareholder huldigt und andere (zum Beispiel
standortpolitische) Überlegungen als „Finanzplatz-Romantik“ abtut,
spielt mit seiner Glaubwürdigkeit, wenn er die Interessen seiner
beiden Großaktionäre, der Hedgefonds TCI und Atticus, nicht ernst
nimmt. Während sich Seifert sonst nicht tief genug vor den
angelsächsischen Kapitalmarktusancen verbeugen kann, schlüpft er
jetzt in die Rolle des Bannerträgers der deutschen Corporate
Governance. Eine Abstimmung der Aktionäre über Akquisitionsvorhaben
sehe das deutsche Aktienrecht nicht vor, meint Seifert und verweist
darauf, dass die opponierenden Aktionäre ja in der Hauptversammlung
im Mai dem Aufsichtsrat das Vertrauen entziehen könnten. Wie sehr der
Börsenbetreiber ansonsten Aktionärsinteressen auch außerhalb von
Hauptversammlungen ernst nimmt, zeigt die gerade beendete Roadshow,
bei der man gut die Hälfte des Aktienkapitals traf und von den LSE-
Plänen zu überzeugen suchte. Nur die Kleinaktionäre, das sei am Rande
bemerkt, spielen in Seiferts Welt keine Rolle. Die Deutsche Börse AG,
die sich so gerne zum Hüter von Transparenz und Chancengleichheit am
Kapitalmarkt aufspielt, lässt in ihrer Informationspolitik den
Streubesitz links liegen.
Werner Seifert will die Deutsche Börse zur Nummer 1 in Europa
machen. Er glaubt, dass der Weg dahin über London führt. Vielleicht
hat er Recht. Aber er sollte nicht so tun, als gebe es nur einen –
nämlich seinen – Weg nach London und an die Spitze in Europa.
(Börsen-Zeitung, 23.2.2005)

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