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BERLINER MORGENPOST: Eine Selbstverständlichkeit
Leitartikel von Christine Richter zum Frauenwahlrecht

Berlin (ots)

Kurzform: "Frauen können alles" - dieses Motto galt vor 100 Jahren, es gilt natürlich auch heute. Aber es bedarf noch vieler Anstrengungen, dass Frauen und Männer wirklich frei entscheiden können, wie sie in ihrem Leben die Prioritäten setzen wollen. Ob für Familie, Kinder, Pflege von Angehörigen - oder für den Beruf oder für beides, für Familie und Beruf, partnerschaftlich organisiert. Es ist immer noch keine Selbstverständlichkeit, dass Frauen in den Unternehmen den Vorstand stellen oder Teil eines Vorstandes sind, dass sie ein Ministerium führen. Zu den Anstrengungen zählt, dass wir den Lebensalltag ändern - etwa Parteirituale verändern, damit die Sitzungen eben nicht so lange dauern. Es ist ein langer Kampf.

Der vollständige Leitartikel: Es war ein langer Kampf: Erst seit 100 Jahren dürfen Frauen in Deutschland wählen. Viele Jahrzehnte kämpften Frauen für das Wahlrecht, erst 1918, nach dem schlimmen und todbringenden Ersten Weltkrieg setzten sie sich im Zuge der Novemberrevolution in Deutschland endlich durch, am 19. Januar 1919 nahmen sie dann erstmals an der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung teil. Bis heute ein historischer Tag, obwohl wir doch eigentlich, wie es auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) in dieser Woche anmerkte, eine Selbstverständlichkeit feiern. Selbstverständlich müssen Frauen wählen und gewählt werden können, weil das der Grundgedanke der Demokratie ist: Freiheit, Gleichheit, Gleichberechtigung. Doch wie wir alle wissen - nicht nur die Frauen, auch die Männer -, schaffen wir das mit der Gleichberechtigung noch nicht in allen Bereichen, auch einhundert Jahre nach dem historischen Tag nicht. Zwar sieht auf den ersten Blick alles ganz gut aus: Wir haben seit vielen Jahren eine Bundeskanzlerin, wir haben eine Verteidigungsministerin, CDU und seit rund einem Jahr auch die SPD werden von einer Parteivorsitzenden geführt, bei den Grünen und Linken ist dies schon keiner Erwähnung mehr wert, denn dort gibt es die Quote und Doppelspitzen - natürlich mit Frauen als Parteichefinnen. Das ist aber nur der erste Blick: Im Bundestag und in den Landesparlamenten ist die Macht bis heute ungleich verteilt, es gibt in ganz Deutschland zu wenige Bürgermeisterinnen und Landrätinnen. Erinnern Sie sich an eine Regierende Bürgermeisterin in Berlin? Louise Schroeder, ja, sie war von 1947 bis 1948 immerhin kommissarische Oberbürgermeisterin Berlins. Die Zahlen sprechen leider für sich: Im Bundestag sind derzeit nur knapp 31 Prozent der Abgeordneten weiblich, im Berliner Abgeordnetenhaus liegt der Anteil der Frauen bei rund 33 Prozent. Grund ist, dass einige Parteien nichts davon halten, Frauen bei ihrer politischen Tätigkeit zu unterstützen, oder der Quote abschwören. Im Bundestag zählt die AfD 90 Prozent Männer, aber auch bei CDU und FDP ist der Frauenanteil mit 20 beziehungsweise 24 Prozent gering. Das Frauenwahlrecht - eine Selbstverständlichkeit? Sicher. Die politische Beteiligung von Frauen? Die nicht. Wer in die Parteien schaut und sich damit beschäftigt, wie man in der Politik Karriere machen kann, der wird bis heute über die alten, meist festgefahrenen Strukturen staunen. Wenn Frau sich nicht einlässt auf die Männerbünde, auf die vielen Stunden am Abend, auf das Kungeln und Aushandeln der Posten, dann hat sie kaum eine Chance, im Politikbetrieb voranzukommen. Berlin ist da übrigens keine Ausnahme. Zwar haben wir einige Senatorinnen, aber von den 24 Staatssekretären sind nur acht weiblich. Und dabei brauchen wir Frauen doch so dringend in all diesen Tätigkeiten und Organisationen. Weil es uns besser geht, wenn Frauen sich einmischen, ihre Sicht einbringen, wenn Frauen und Männer zusammen das Leben gestalten. "Frauen können alles" - dieses Motto galt vor 100 Jahren, es gilt natürlich auch heute. Aber es bedarf noch vieler Anstrengungen, dass Frauen und Männer wirklich frei entscheiden können, wie sie in ihrem Leben die Prioritäten setzen wollen. Ob für Familie, Kinder, Pflege von Angehörigen - oder für den Beruf oder für beides, für Familie und Beruf, partnerschaftlich organisiert. Es ist immer noch keine Selbstverständlichkeit, dass Frauen in den Unternehmen den Vorstand stellen oder Teil eines Vorstandes sind, dass sie ein Ministerium führen. Zu den Anstrengungen zählt, dass wir den Lebensalltag ändern - etwa Parteirituale verändern, damit die Sitzungen eben nicht so lange dauern. Das Frauenwahlrecht wird heute, da bin ich mir sicher, von niemandem mehr infrage gestellt. Dafür ist in Sonntagsreden viel von "gleichem Lohn für gleiche Arbeit", von Chancengleichheit für Mädchen und Jungen in der Schule oder der Ausbildung die Rede, von Frauen, die in Unternehmen und Aufsichtsräten gebraucht werden. In den Reden klingt das gut, die Realität sieht leider anders aus. Es ist ein langer Kampf.

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