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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Militäreinsatz gegen Schlepper: Grenzenlose Heuchelei von Sebastian Heinrich

Regensburg (ots)

Es klingt so schön einfach: Soldaten aus der guten Europäischen Union schießen Boote böser Schleuser ab. Gibt es keine Boote mehr, können weniger Flüchtlinge nach Europa kommen. Und wer nicht hierher kommt, um den muss sich Europa nicht kümmern. In Wahrheit aber ist die geplante Mission "EU Navfor Med", mit der leere Flüchtlingsboote zerstört werden sollen, ein riesiger Fehler. Und sie offenbart, dass in der europäischen Asylpolitik nur eines grenzenlos ist: die Heuchelei. Die EU will keine Toten mehr im Mittelmeer sehen und glaubt, sie mit Schiffeversenken zu verhindern. Dabei treibt gerade ihre Politik der Abschottung Verzweifelte und Verfolgte auf das Mittelmeer, zur lebensgefährlichen Überfahrt. Europa muss Asylbewerbern endlich legale Einreisemöglichkeiten bieten. Den Europäern darf nicht mehr vorgegaukelt werden, der Kontinent könnte sich weiter abschotten gegen die Verdammten dieser Erde. Die EU muss aufhören, Flüchtlinge zu kriminalisieren - und endlich jene Menschlichkeit zeigen, die eines Friedensnobelpreisträgers würdig wäre. Stattdessen aber will die EU gegen die Symptome des Flüchtlingsleids schießen. Das ändert nichts an dessen Ursachen: von den Bürgerkriegen in Syrien und Somalia über das Gemetzel des IS in Syrien und im Irak bis zum lebensbedrohlichen Elend in Ländern südlich der Sahara. Der Westen trägt eine Mitschuld an all diesen Notsituationen: Weil er selbst bei eklatanten Menschenrechtsverletzungen wegsieht; weil er Konflikte durch stümperhafte Außenpolitik eskalieren lässt; weil Europa mit seiner Außenhandelspolitik Menschen in vielen Entwicklungsländern Chancen auf Wachstum und Wohlstand raubt. Solange Europa nicht zu seiner Verantwortung für das Leid vor seinen Toren steht, geht die Massenflucht weiter - egal, wie viele Boote versenkt werden. Die Abschuss-Mission könnte zudem verheerende Nebenwirkungen haben. Es wird, wie bei jedem Militäreinsatz, unschuldige Opfer geben: Flüchtlinge, die doch noch an Bord vermeintlich leerer Schiffe versteckt sind; Fischer, deren Boote fälschlicherweise für Fluchtvehikel gehalten werden. In beiden Fällen würde jeder Fehlschuss weiteres Leid und Elend erzeugen. Jeder Fehlschuss würde den Hass auf den Westen füttern, der Menschen ohne Perspektive in die Arme fundamentalistischer Terroristen treibt. Selbst wer glaubt, mit Waffengewalt gegen leere Boote das Geschäftsmodell von Menschenhändlern zu zerstören, irrt. Zum einen sind nicht alle Schleuser gewissenlose Schwerkriminelle. In der alten Bundesrepublik wurden Menschen, die anderen illegalerweise einen Ausweg aus Elend und Verfolgung verschafften, als Fluchthelfer glorifiziert. Heute werden sie in Europa kriminalisiert. Das ist ein billiges Ablenkungsmanöver. Schließlich ist der beste Sponsor der Fluchthelfer die EU selbst. Nur weil sie keine legale Einreise erlaubt, wenden sich Asylsuchende an die Schleuser. Unbestritten bleibt, dass es unter denen kühle Geschäftsmänner gibt, für die ein Menschenleben nichts wert ist: gerade in Libyen, das seit 2011 im Chaos versinkt. Kriminellen Menschenhändlern schadet der Abschuss von Booten aber kaum. In Libyen kaufen Schleuser Boote oft Fischern ab und kalkulieren den Verlust eines Vehikels durchaus mit ein. Die EU will mit ihrer Anti-Schleuser-Mission beweisen, dass sie dem Sterben in Mittelmeer nicht weiter tatenlos zusieht. In Wahrheit lenkt dieser Vorschlag aber nur vom Versagen der europäischen Asylpolitik ab. Einer Politik, welche die Menschenrechten mit Füßen tritt, die auf dem Papier als Grundrechtecharta zum Fundament der Union gehören. Einer Politik, die eine Schande für Europa ist.

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