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Landeszeitung Lüneburg: Wie Deutschland helfen kann - Interview mit Prof. Marcel Fratzscher über Eurobonds, Reformen und die schweren Aufgaben für Emmanuel Macron

Lüneburg (ots)

Frankreichs neuer Präsident Emmanuel Macron steht vor großen Herausforderungen. Wie kann Deutschland dabei helfen, ihn zu unterstützen und Frankreichs Wirtschaft wieder anzukurbeln?

Prof. Marcel Fratzscher: Deutschland kann Frankreich sicher nicht aktiv dabei helfen, Reformen im Land umzusetzen. Macron plant Arbeitsmarkt-Reformen und will die Sozialsysteme grundlegend reformieren. Hier kann Deutschland indirekt helfen und die Erfahrungen mit den vor 15 Jahren gestarteten Sozialsystem-Reformen weiterreichen. Enorm wichtig ist es, dass die Europäische Union wieder auf die Beine kommt. Wir ignorieren in Deutschland zu sehr, dass sich Europa nach wie vor in einer Krise befindet - sowohl wirtschaflich als auch institutionell. Wir sollten die Vorschläge Macrons für Reformen der EU konstruktiv aufgreifen. Konstruktiv bedeutet, dass man sagt: Ja, er hat recht. Europa, so wie es aufgestellt ist, und auch der Euro sind nicht nachhaltig. Wir müssen mehr Reformen durchführen. Zweitens muss man den Dialog mit Macron aufnehmen und gemeinsame Ziele definieren. Ich glaube, dass das gar nicht so schwierig ist. Man wird sich relativ schnell darüber einig sein, was die Probleme sind und dann darüber diskutieren, was der beste Lösungsweg ist. Das würde Europa helfen. Das würde Frankreich helfen. Und es würde übrigens auch Deutschland helfen. Was mich an der Diskussion gerade sehr stört, ist, dass es wieder heißt, die Franzosen wollen etwas von uns. Und was gut für Europa oder Frankreich ist, muss zwingenderweise schlecht für Deutschland sein. Das halte ich für völligen Unfug. Wir sollten offener sein und nicht immer sofort Nein zu allem sagen.

Sie haben kürzlich gesagt, die Bundesregierung müsse sich offener gegenüber gerechtfertigter Kritik aus Europa und Frankreich zeigen. Denken Sie dabei auch an den großen Streitpunkt Rekord-Exportüberschuss?

Ja. Aber das Problem ist nicht der Rekord-Exportüberschuss, sondern das Rekord-Investitionsdefizit. Es geht nicht darum, dass Deutschland so viele Waren exportiert. Keiner sollte Deutschland die Exporte, also unsere Stärke, neiden. Das Problem ist, dass wir in Deutschland zu wenig investieren und daher zu wenig importieren. Die Überschüsse, die dabei zustande kommen, sind nicht ein Export- sondern ein Investitionsproblem in Deutschland. Dabei ist es eigentlich in unserem besten Interesse, mehr zu investieren, damit Produktivität, Wachstum und Einkommen in Deutschland zu stärken und so auch die Überschüsse abzubauen. Auch hier sollten wir uns offener zeigen und verstehen, dass wir so nicht nur Europa helfen, die Ungleichgewichte abzubauen, sondern wir helfen uns selbst, wenn wir diese Maßnahmen ergreifen.

Im März kletterten die Ausfuhren auf den höchsten Monatswert seit 1950, aber auch die Wareneinfuhren stiegen auf einen Rekordwert. Deutet sich eine Trendwende zu sinkenden Exportüberschüssen an?

Wir sehen diese Trendwende noch nicht. Was wir auch gerne vergessen, ist, dass unsere Exporte eine sehr hohe Importkomponente haben - also Energie und andere Vorleistungen, die in Exportprodukte einfließen. Sicherlich, die Bundesregierung sagt, es wird alles besser werden. Der Überschuss werde in zwei Jahren nicht mehr 8,6, sondern nur noch 7 Prozent betragen. Diese 7 Prozent sind aber immer noch viel zu hoch. Wir wissen aus vielen Studien, dass Deutschland vielleicht zwei oder drei Prozent der Wirtschaftsleistung als Überschuss haben sollte. Das ist gerechtfertigt. Aber nicht 5, 6 oder 7 Prozent. Es wird in den kommenden Jahren eine Abschwächung geben. Aber das ist kein Grund, jetzt schon zu sagen, dass die Probleme gelöst seien.

Frankreich war 2016 zwar wichtigster EU-Handelspartner Deutschlands. Doch der Exportüberschuss mit Großbritannien war so hoch wie mit keinem anderen EU-Land. Hat sich angesichts des Brexit die Dauerkritik insofern auch bald erledigt?

Ich glaube nicht, dass der Brexit so großen Einfluss auf die Handelsbeziehungen haben wird. Großbritannien mag dann zwar keinen Zugang mehr zum EU-Binnenmarkt haben, aber es dürfte dann doch irgendein Freihandelsabkommen geben. Ich erwarte daher nicht, dass der Handel von Gütern und Dienstleistungen stark unter dem Brexit leiden wird. Eher trifft es die Investitionen oder die Kapitalmärkte.

Ist die bisherige deutsche Politik, erst mehr Arbeitsplätze und höhere Steuereinnahmen zu generieren und dann nach einer Sparphase langsam die Investitionen hochzufahren, nicht ökonomisch eher idealtypisch?

Nein, im Gegenteil. Eigentlich ist es so, dass die privaten Investitionen in der Regel auch einen Aufschwung treiben sollten, um ihn nachhaltig zu machen. Meine große Sorge ist, dass das, was wir im Moment in Deutschland sehen, nur ein Aufholprozess ist von vor zehn Jahren, als Deutschland der kranke Mann Europas war. Man braucht Investitionen, um Produktivität zu verbessern. Und damit langfristig auch Einkommen zu stärken, Jobs zu sichern und die Wettbewerbsfähigkeit zu halten. Ich sehe in den nächsten fünf bis zehn Jahren ein riesiges Problem auf Deutschland zukommen, weil wir in wichtigen Investitionsbereichen zurückfallen und damit die gegenwärtig gute Lage gefährden.

Emmanuel Macron will zwar das Arbeitsrecht in Frankreich lockern, plädiert aber auch auf mittlere Sicht für einen Eurozonen-Finanzminister, einen Haushalt der Euro-Zone und soziale Mindeststandards in der EU. Das wird in einigen anderen Ländern schon lange gefordert, ist aber stets am Einigkeitsprinzip gescheitert. Gibt es Chancen, dass sich diese Haltung - auch nach dem Brexit - nun ändert?

Die Chancen sind gestiegen. Aber ich würde nicht sagen, dass sie sonderlich hoch sind. Viele Politiker haben die Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt, dass es dringend notwendig ist, etwas Grundlegendes an Europa zu ändern. Dass wir vor der Wahl stehen: Abbruch und Auseinanderreißen oder wir holen die Reformen nach, die notwendig sind. Dazu gehört auch, dass man in gewissen wirtschaftlichen Bereichen die Subsidarität verbessert, also mehr Verantwortung zurückgibt. Aber in anderen Bereichen wieder stärker zusammenarbeitet. Das betrifft Bankenunion, Kapitalmarktunion und natürlich auch die Fiskalpolitik. Hier ist eine bessere Koordinierung notwendig.

Macron fordert auch die Einführung von Eurobonds. Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnte dies erneut ab, SPD-Chef Martin Schulz hatte sie dagegen schon 2010 gefordert. Doch diese Art einer Vergemeinschaftung der Schulden ist auch bei der Mehrheit der Wählern unpopulär. Zu Recht?

Eurobonds sind für viele Politiker und Bürger ein rotes Tuch, obwohl gar nicht genau erklärt wurde, was Eurobonds eigentlich sind. Wir haben bereits gemeinsame Anleihen: Durch den ESM werden Anleihen ausgegeben. Auch Griechenland-Kredite werden zum Teil über ESM-Anleihen finanziert, dabei muss auch Deutschland Garantien leisten. Die ESM-Anleihen heißen nur nicht Eurobonds, weil sie rechtlich einen anderen Zweck erfüllen. Ich meine, man sollte erst einmal darüber diskutieren, was wir erreichen wollen, was die Ziele sind. Wenn es hier darum geht zu sagen, dass wir die Krise lösen wollen, dass wir einen besseren Sicherheitsmechanismus haben wollen, um Länder künftig gegen Krisen, gegen tiefe Rezessionen abzusichern, damit Europa stabiler ist, sollten wir alle Vorschläge offen auf den Tisch legen. Ich bin kein Freund von Eurobonds. Aber man sollte zumindest überlegen, ob man Eurobonds nicht auch verwenden kann, um Ziele zu erreichen, die uns Deutschen wichtig sind. Dogmatisch und sofort Nein sagen, ohne einmal überlegt zu haben, was wir eigentlich wollen, halte ich von der deutschen Seite für falsch.

Deutschlands BIP-Überschüsse seit drei Jahren sind vor allem auch der Niedrigstzinsphase zu verdanken. Droht hier eine Art Schulden-Blase, wenn die EZB ihren Kurs ändert?

Nein, das sehe ich nicht. Viele Staaten wie zum Beispiel Italien haben ihre Staatsschulden so umstrukturieren können, dass sie deutlich längere Laufzeiten haben. Eine Trendwende bei den Leitzinsen sehe ich daher nicht als Risiko für die Staaten, für die Regierungen. Denn es wird viele Jahre dauern, bis sich höhere Zinsen in deutlich höheren Kosten für die Finanzierung der Schulden widerspiegeln. Das A und O ist letztlich die Frage, wie mehr Wachstum generiert werden kann.

Man kann vordergründig die derzeitige Situation Frankreichs mit der Deutschlands von 2005 vergleichen. Hohe Arbeitslosenzahlen, hohe Staatsschulden, kaum Wachstum und ein Volk, das Sparpolitik satt hat. Tatsächlich aber ziehen die Exporte Frankreichs seit Monaten an. Und immer mehr Investoren - vor allem aus Deutschland - engagieren sich in Frankreich. Sind die insofern optimistisch, dass es mit Frankreich aufwärts geht?

Ja. Ich war aber auch nie so pessimistisch gegenüber Frankreich wie viele andere in Deutschland. Wir sollten uns einmal die Zahlen genauer anschauen: Frankreich ist seit 1999 drei Prozent stärker gewachsen als die deutsche Volkswirtschaft und ist auch in den vergangenen Jahren nicht sehr viel schwächer gewachsen. Das heißt natürlich nicht, dass Frankreich keine Probleme hat. Das Land hat eine hohe Arbeitslosenquote und muss dringend Strukturreformen umsetzen. Aber wir Deutschen reden uns häufig gerne besser, als wir sind. Und die anderen schlechter, als sie sind. Auch da, glaube ich, wird uns ein Schuss mehr Bescheidenheit, ein Schuss mehr Realismus ganz gut tun.

Das Interview führte

Werner Kolbe

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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