FZ: "Sarrazin-Partei wäre Attraktion für Spinner aller Couleur" _ Parteiforscher Jürgen Falter im Interview der "Fuldaer Zeitung"
Fulda (ots)
Kaum etwas fürchten etablierte Parteien mehr als die Gründung einer rechtspopulistischen Sarrazin-Partei. Doch der Mainzer Parteienforscher Jürgen W. Falter ist sich im Interview mit unserer Zeitung sicher: Eine solche Partei hätte keinen Erfolg in Deutschland.
Welchen Erfolg würden Sie einer potenziellen Sarrazin-Partei bescheinigen? Fast keinen! Zu einer Parteigründung gehört noch ein bisschen mehr als nur Unwillen im Volk. Sie braucht einen charismatischen Führer, der sie repräsentiert - und das ist Sarrazin ganz sicher nicht. Er ist eher ein Anti-Charismatiker, kein deutscher Pim Fortuyn. Außerdem brauchte die Partei ein organisatorisches Kerngerüst und nicht zu vergessen auch Geld.
Was haben Sie gedacht, als Sie Sarrazins Thesen zum ersten Mal gehört haben? Ich kenne ja seine Kritik an der Integrationspolitik, das hat mich nicht gewundert. Ungewöhnlich war dann allerdings doch die biologistische Wende hin zu genetischen Faktoren. Verärgert war ich nicht, weil ich ein strikter Anhänger des freien Wortes und Gegner der Zensur durch Political Correctness bin. Ich finde jede kühne These akzeptabel, wenn sie sachlich diskutiert werden kann.
Warum würden Menschen eine Sarrazin-Partei wählen? Das liegt an der großen Diskrepanz zwischen der veröffentlichten und der weit verbreiteten, aber von der politischen Klasse nicht aufgegriffenen Meinung der Bürger, der immer wieder auftauchenden Kluft zwischen Eliten und Volk. Eine wachsende Zahl von Deutschen hat das Gefühl, von der Politik nicht ausreichend repräsentiert zu werden.
Laut einer Umfrage würden besonders viele Linke Sarrazin wählen. Das verwundert mich nicht. Viele dieser Menschen erleben das Ergebnis der unvollkommenen Integrationsbemühungen Tür an Tür. Außerdem: Die Anzeichen dafür waren schon lange da. Zwischen 1989 und 1994 hat die SPD genausoviele Stammwähler an die Republikaner verloren wie die CDU. Für die SPD gibt es ganz klar einen Wähleranteil mit fremdenkritischen Positionen, die ihre Wähler aus ihrem Alltagserleben heraus entwickeln.
Welche Themen würde eine Sarrazin-Partei abdecken, die in den Volksparteien derzeit zu kurz kommen? Das wäre sicher eine restriktive, ausschließlich auf die Bedürfnisse der Deutschen ausgerichtete Einwanderungspolitik, die formal ungebildete Ausländer draußen halten würde. Den im Land lebenden Migranten würden sicher strengere Regeln auferlegt, etwa, was den Spracherwerb oder Kinder im Schwimmunterricht angeht.
Trauen Sie einer solchen Partei mehr zu, als eine Protestpartei zu sein? Eine Sarrazin-Partei wäre sicher eine enorme Attraktion für Spinner aller Couleur und Chaoten jeder Richtung. So wie die Vereinigungen von Gabriele Pauli und Ronald Schill würde sie allerdings wohl schnell zerbrechen an den inneren Widersprüchen ihrer Mitglieder.
Ist das Ausschlussverfahren der SPD der richtige Umgang mit einem Querulanten wie Sarrazin? Ich halte das für nachvollziehbar, aber taktisch falsch. Ich hätte eine intensivere Diskussion über und mit Sarrazin empfohlen. Ein Parteiausschluss ist für die SPD kontraproduktiv und treibt die schon angesprochene Spaltung des Volkes voran. Außerdem halte ich Sarrazin nicht für einen Querulanten: Er glaubt das, was er schreibt, tatsächlich und steht voll hinter dem - auch, wenn er sicher einen großen Hang zur Polemik hat.
Kann man über Sarrazin eigentlich diskutieren? Sicher, man sollte und man kann über ihn oder genauer: seine Thesen diskutieren. Es gilt, bei seinen Thesen einen inneren Kern auszumachen und den dann darauf abzuklopfen: Was ist richtig und was nicht. Tut man das nicht, überlässt man das Feld den rechten Populisten.
Zeigt der Fall Sarrazin auf, dass das klassische Rechts-Links-Parteienschema zunehmend verschwimmt? Ich denke, diese Aufteilung ist immer noch von Bedeutung. Den diversen politischen Strömungen liegen unterschiedliche Gesellschaftsbilder zu Grunde. Zentraler Aspekt ist dabei: Wie soll Ungleichheit behandelt werden? Soll der Staat hier massiv eingreifen oder ist das etwas Natur-Gegebenes, was vielleicht sogar so bleiben soll.
Wie sollte die Bundesregierung mit integrations-überforderten Deutschen umgehen? Zuallererst: Mehr für die Integration tun. In Absprache mit den Ländern das Konzept "Fördern und Fordern" stärker forcieren. Das bedeutet konkret: Mehr Ganztagsschulen einrichten, um den Bildungsmangel zu neutralisieren, ein oder zwei Vorschuljahre wie in Frankreich zur Pflicht machen und unsere kulturellen Vorstellungen auch in der Schule stärker durchsetzen. Alle Kinder sollten an Klassenfahrten und dem Schwimm- und Sportunterricht teilnehmen. Gut finde ich den in Hessen schon früh verpflichtenden Sprachunterricht. Außerdem sollten Migranten sich stärker in Vereinen einbringen, können wobei ich weiß, dass das nicht immer ganz einfach ist. Ich kann mich da an meine Studentenzeit erinnern, als ein Japaner Mitglied in einer Studentenverbindung werden wollte. Die Alten Herren haben das abgelehnt, da es sich um eine "deutsche" Studentenverbindung handele. Wir brauchen auf beiden Seiten gesellschaftliche Vorbilder, an denen sich die Menschen orientieren können.
Interview: Julia Weigelt
Pressekontakt:
Fuldaer Zeitung
Julia Weigelt
Telefon: 0661 280-442
julia.weigelt@fuldaerzeitung.de
Original-Content von: Fuldaer Zeitung, übermittelt durch news aktuell