POL-GÖ: (544/2022) Besorgniserregende Entwicklung bei "E-Scootern": Anstieg von Trunkenheitsfahrten und Verkehrsunfällen in Göttingen, Verkehrssicherheitsberater Jörg Arnecke erläutert rechtliche Folgen
Göttingen (ots)
GÖTTINGEN (ja) - Zahlreiche "E-Scooter" unterschiedlichster Anbieter im stationslosen Verleihsystem prägen das Stadtbild von Göttingen, mit einhergehenden Nutzungskonflikten, abgesehen von behindert abgestellten "E-Scootern" auf Gehwegen. Besonders problematisch: Ein exorbitanter Anstieg von "Trunkenheitsfahren" und polizeilich registrierten Verkehrsunfällen unter "E-Scooter"- Beteiligung ist festzustellen. Die Fahrerinnen und Fahrer der elektrisch angetriebenen "Flitzer" sind - trotz verschiedenster Präventionsmaßen - nicht bzw. nur rudimentär über die einschlägigen Verhaltensvorschriften und besonderen Gefahren im Straßenverkehr informiert.
Völlig abgefahren! Viele E-Scooter-Fahrende nutzen oft - trotz beeinträchtigter Fahruntüchtigkeit - den "E-Scooter" zum "schnellen" Aufsuchen einer Party und / oder für den Heimweg mit ungeahnten Folgen, wie u.a. verursachten Verkehrsunfällen mit Schwerstverletzten, der Gefahr Beschuldigter im Strafverfahren zu werden oder sogar dem Verlust der Fahrerlaubnis.
Kraftfahrzeuge
Aus hiesiger Sicht werden die "E-Scooter" von einer Vielzahl der Nutzenden unzutreffend als "Sportgeräte", mit einem entsprechenden "Spaßfaktor", wahrgenommen. Bei diesen Fortbewegungsmitteln handelt es sich rechtlich um versicherungspflichtige Kraftfahrzeuge (Kfz.), so wie ein Pkw. Es gelten somit die gleichen Promillegrenzen wie u.a. beim Pkw-Fahren und die entsprechenden strafprozessualen Folgemaßnahmen, wie u.a. der Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins zur Vorbereitung des Entzugs der Fahrerlaubnis im Strafverfahren. Klingt im ersten Moment surreal, ist aber so! Dies dient der Gewährleistung der Sicherheit im Straßenverkehr. Der Unterschied einem "E-Scooter" und anderen Kfz. besteht darin, dass "E-Scooter" fahrerlaubnisfrei sind, sofern die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von max. 20 km/ h nicht überschritten wird.
1. "Trunkenheitsfahrten" Im Zuständigkeitsbereich der Polizeiinspektion (PI) Göttingen wurden 2021 nach vorausgegangenen "Trunkenheitsfahrten" mit "E-Scootern" 176 strafprozessualen Folgemaßnahmen (Blutproben / gerichtsverwertbare Atemalkoholtests) durchgeführt. Dies entspricht einem Anstieg von 550 % gegenüber dem Vorjahr (2020: 32 / 2019: 4).
Ein besorgniserregender Trend: Im Zeitraum von Januar - November 2022 waren 231 E-Scooter-Fahrende, deren Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war, festgestellt. Die Fahrenden waren in diesen Fällen im Durchschnitt 27 Jahre alt und meist männlich.
Promillewerte
Hervorzuheben ist, dass bei den Fahrerinnen und Fahrern von "E-Scootern" neben "mittleren" BAK-Werten auch höhere Werte festgestellt werden mussten. In 15 Fällen wurden Werte weit von über 2,00 Promille (2021: 9) festgestellt. Höchstwerte waren 3,16 Promille (39-jähriger) und 4,00 Promille (35-jähriger). Trotz dieser Werte waren viele Fahrzeugführer*innen in der Lage den "E - Scooter" sicher im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, obwohl diese aufgrund ihrer fahrphysikalischen Eigenschaften schwierig zu fahren sind. Dies indiziert zweifelsohne eine gewisse Alkoholgewöhnung der Fahrenden.
2. Promillegrenzen "E-Scooter" / Folgen
2.1 Verkehrsordnungswidrigkeiten
Ahnung: Bußgeldstellen der Kommunen
2.2.1 "Absolutes Alkoholverbot für Fahranfänger" § 24 c Straßenverkehrsgesetz (StVG) - absolutes Alkoholverbot während der Probezeit oder unter 21 Jahren Folgen: 250 Euro Geldbuße 1 Punkt Aufbauseminar Verlängerung der Probezeit von 2 auf 4 Jahre! 2.2.2 "0,5 Promille Grenze" § 24 a (StVG) - 0,50 - 1,09 Promille - ohne alkoholbedingte Ausfallerscheinungen Folgen: 1. Verstoß: 500 EUR, 1 Monat Fahrverbot 2. Verstoß: 1000 EUR, 3 Monate Fahrverbot 3. Verstoß: 1500 EUR, 3 Monate Fahrverbot 2 Punkte gilt auch für Fahrten unter Einfluss von Betäubungsmitteln!
2.2 Straftat
Ahndungsbehörde: Staatsanwaltschaft / Gerichte
"Trunkenheit im Straßenverkehr" § 316 Strafgesetzbuch (StGB) - 0,30 Promille - 1,09 Promille (relative Fahruntüchtigkeit) o mit alkoholbedingten Ausfallerscheinungen (unsichere Fahrweise: u.a. motorische Unsicherheiten - u.a. "Schlangenlinien", pp.) - 1,10 Promille und mehr (absolute Fahruntüchtigkeit) o Ausfallerscheinungen sind nicht erforderlich Folgen: Sicherstellung / Beschlagnahme des Führerscheins zur Vorbereitung des Entzugs der Fahrerlaubnis im Strafverfahren durch das Gericht Geldstrafe / Freiheitsstrafe (Wiederholungstäter) Entzug der Fahrerlaubnis (Dauer: Ermessen des Gerichts, in der Regel mindestens 6 Monate) Anordnung einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) ab einem Promillewert von 1,6 Promille 3. Verkehrsunfallgeschehen
3.1 Kalenderjahr 2021
Im Zuständigkeitsbereich der PI Göttingen war im Jahr 2021 gegenüber dem Vorjahr ein Anstieg von 560 % bei den polizeilich registrierten Verkehrsunfällen zu verzeichnen.2021 wurden 28 Verkehrsunfälle (2020: 5 Unfälle) dokumentiert. 2021 waren in 17 Fällen E-Scooter-Fahrende als Unfallverursachende (2020: 0) festzustellen, davon standen 2 Fahrende unter Alkoholeinfluss und 1 Fahrender unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln. Die Anzahl der Verunglückten stieg im Jahr 2021 im Vergleich zum Vorjahr von 5 auf 23 verletzte Personen. 18 leichtverletzte und 5 schwerverletzte E-Scooter-Fahrende waren 2021 (2020: 5 Leichtverletzte) zu beklagen. Von den unfallverursachenden E-Scooter-Fahrenden, welche unter Alkoholeinfluss standen, wurden 2 Personen leichtverletzt.
In drei Fällen entfernten sich 2021 E-Scooter-Fahrende unerlaubt von Unfallort.
3.2. Trend 2022
Ein deutlicher Anstieg der polizeilich registrierten Verkehrsunfälle unter E-Scooter-Beteiligung ist im Zeitraum vom Januar - November 2022 gegenüber 2021 zu verzeichnen, so auch bei den unfallverursachende E-Scooter-Fahrende, die unter Alkoholeinfluss, standen. Besorgniserregend ist die Vielzahl der leicht- und schwerverletzte E-Scooter-Fahrenden, sowie auch die Anzahl der "Trunkenheitsfahrten" mit "E-Scootern", die sich deutlich von den Zahlen im Vorjahr abheben.
4. Tipps zur sicheren Fahrt mit dem E-Scooter
Jörg Arnecke, Verkehrssicherheitsberater der Polizeiinspektion Göttingen, rät: - Bedenken Sie: E-Scooter sind Kraftfahrzeuge und keine Sportgeräte oder Spielzeug! - Nutzen Sie nur verkehrssichere E-Scooter mit Betriebserlaubnis und Vers.-Kennzeichen! - Ihre Fahrtüchtigkeit ist wichtig! Beurteilen Sie Alkoholkonsum und Medikamenteneinnahme stets kritisch! - Befahren Sie ausschließlich Radwege / -fahrstreifen bzw. bei Nichtvorhandensein die rechte Fahrbahnseite! - Benutzen Sie Ihren E-Scooter ausschließlich allein! - Fahren Sie vorausschauend und defensiv! - "Übung macht den Meister": Üben Sie den sicheren Umgang, das Anfahren, plötzliches Bremsen, Balance halten und insbesondere das Abbiegen! - Tragen Sie einen Helm - er schützt Ihr Leben und ihre Gesundheit!
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