POL-H: Binias: "Dramatische Folgen für die Kriminalitätsbekämpfung" Polizeiführung fordert Neuregelung des Telekommunikationsgesetzes
Hannover (ots)
Polizeipräsident Uwe Binias erwartet für das laufende Jahr spürbare Einschnitte bei der Kriminalitätsbekämpfung und bei der Gefahrenabwehr. Grund ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März zur so genannten Vorratsdatenspeicherung. Seither sind die Telekom-munikationsdienstleister nicht mehr verpflichtet, z.B. Verbindungsdaten von Handys oder dynamische IP-Adressen zu sichern. "Dadurch wird die Bekämpfung bestimmter Straftaten wie die Verbreitung von Kinderpornografie im Internet oder auch Warenkreditbetrug erheblich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht", erklärt Binias. Selbst auf die Aufklärung von Kapitalverbrechen oder die Bekämpfung organisierter Kriminalität könne das Urteil erheblichen Einfluss haben. "Es ist bei der jetzt geltenden Rechtslage nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, dass wir in Zukunft auch mal einen Mörder nicht überführen können." Hannovers Polizeipräsident fordert den Gesetzgeber dringend auf, das Telekommunikationsgesetz und korrospondierende Gesetze neu zu regeln, so dass sie der Verfassung entsprechen, aber auch den Erfordernissen der Kriminalitätsbekämpfung und Gefahrenabwehr Rechnung tragen.
Die Auswirkungen der Verfassungsgerichtsentscheidung sind für die Polizei schon jetzt unmittelbar spürbar. So informierte im März ein Zeuge die Polizei, dass in einem geschlossenen Chatroom Fotos mit kinderpornografischem Inhalt ausgetauscht wurden. Bislang war es in einem solchen Fall möglich, über die nur kurzzeitig vergebenen dynamischen IP-Adressen die Verantwortlichen zu ermitteln. "Jetzt bekommen wir von den Dienstleistern nur noch freundlich formulierte Standardabsagen auf unsere Anfragen", erklärt Binias. Gerade bei dem besonders verabscheuungswürdigen Delikt Kinderpornografie nutzten die Täter die Anonymität des Internet. "Ohne die Möglichkeit, an die dynamischen IP-Adressen heranzukommen, stehen wir dem Phänomen jetzt zum Teil machtlos gegenüber", erklärt der Polizeipräsident. Ähnlich sehe es auch beim um sich greifenden Warenkreditbetrug aus. Eine beliebte Masche der Betrüger ist es, sich über eine kurzzeitig unter falschem Namen eingerichtete Internetadresse Waren an eine Scheinanschrift liefern zu lassen. Zusätzlich werden dabei oft die Bankverbindungsdaten Unbeteiligter angegeben, von deren Konten dann z.B. ein Warenhaus das Geld für die bestellte Ware abbucht. Binias: "Auch hier war es oft nur mit Hilfe gespeicherter IP-Adressen möglich, den Täter zu ermitteln." Die Dienstleister speichern aber auch Handyverbindungsdaten nur noch kurzzeitig ab - wenn überhaupt. Die Polizei hat oft schon nach wenigen Tagen keine Chance mehr, mit Hilfe der Handydaten zum Beispiel das Alibi eines Tatverdächtigen zu überprüfen. Thomas Rochell, Chef des Zentralen Kriminaldienstes, erinnert in diesem Zusammenhang an die Mordfälle Asaro, Gaucke und Simone Müller (vgl. u.a. Presseinfo Nr. 1 vom 22. Mai 2009). "Bei der Aufklärung dieser Kapitalverbrechen haben diese Daten, die wir jetzt nicht mehr verlässlich nutzen können, eine wichtige Rolle gespielt", erklärt der Leitende Kriminaldirektor. So sei es im Fall Simone Müller gelungen, dem Verdächtigen durch eine nachträgliche Handyortung nachzuweisen, dass er sich in den Folgetaten nach der Tat zumindest in der Nähe jenes Ortes bei Wunstorf aufgehalten hat, wo später die Leiche des Opfers gefunden wurde.
Für Binias duldet die Neuregelung des Telekommunikationsgesetzes auch aus Gründen der unmittelbaren Gefahrenabwehr keinen Aufschub. "Wir hatten schon mehrmals Fälle, bei denen in einem Chatroom ein Amoklauf an einer Schule angedroht wurde. Ich mag mir gar nicht vorstellen, dass uns künftig die Hände gebunden sind, dass wir unter Umständen das Leben und die Gesundheit von Schülern nicht mehr schützen können." Der Polizeipräsident zeigt vor diesem Hintergrund "keinerlei Verständnis für den einen oder anderen verantwortlichen Politiker in Berlin, der meint, ein Thema auf die lange Bank schieben zu können." sw
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