BKA: Dunkelfelduntersuchungen im Deliktsbereich "Handel mit Kindern" Bundeskriminalamt veranstaltet interdisziplinären Workshop
Wiesbaden (ots)
Kann man mit Methoden der Dunkelfeldforschung den Deliktsbereich "Handel mit Kindern" erhellen? Dieser Frage widmete sich Ende Oktober 2007 in Wörrstadt ein ausgewählter Expertenkreis von führenden Kriminologen und Sozialwissenschaftlern sowie Experten aus Polizei, anderen Behörden und Nichtregierungsorganisationen im Rahmen eines interdisziplinären Workshops des Bundeskriminalamtes (BKA). Während die polizeilichen Statistiken nur sehr wenige Fälle ausweisen, gehen internationale Organisationen von weltweiten Opferzahlen aus, die in die Millionen gehen. So schätzt die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) in einer 2003 veröffentlichten Studie, dass weltweit ca. 1,2 Millionen Kinder jährlich zu Opfern von Menschenhandel werden. Das Bundeslagebild Menschenhandel bildet allerdings für das Jahr 2006 unter den 14-17-Jährigen nur insgesamt 62 Opfer von Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung ab - jüngere Opfer wurden nicht registriert. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) verzeichnet 2006 insgesamt nur 5 Fälle von Kinderhandel.
BKA-Präsident Jörg Ziercke eröffnete den Workshop und wies in diesem Zusammenhang auf die besondere Schutzbedürftigkeit eines jeden Kindes hin. Er verband mit der Veranstaltung den Wunsch, "gemeinsam nach methodischen Ansätzen zu suchen, die Aufschluss über die Größe des Dunkelfeldes dieses Kriminalitätsfeldes geben können."
Anhand von Fallbeispielen aus der Arbeit von Fachberatungsstellen wurde das Phänomenfeld beschrieben. So wurde das Schicksal von Anna (14) und Lena (16) aus Rumänien geschildert, die vor dem EU-Beitritt Rumäniens unabhängig voneinander von Bekannten in ihrem Heimatort angeworben wurden. Sie wollten für einen Monat während der Sommerferien in Deutschland in der Gastronomie arbeiten. Da die Werber ihnen vom Sehen bekannt waren, vertrauten sie diesen ohne Argwohn. Anna und Lena wurden über Österreich nach Deutschland verbracht. Hier wurden sie gemeinsam an ein Bordell verkauft und gezwungen, der Prostitution nachzugehen. Aufgrund ihres Alters, ihrer Unerfahrenheit und ihrer mangelnden Sprachkenntnisse konnten sie ihrer Lage nicht aus eigener Kraft entkommen. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden sie von der Polizei aufgegriffen und in Abschiebegewahrsam überstellt. Dabei wurde zunächst nicht erkannt, dass sie Opfer von Menschenhändlern geworden waren. Erst später offenbarten sich die Mädchen und signalisierten ihre Aussagebereitschaft. Nach langfristiger Hilfe durch Beratungsstellen gelang es in diesem Fall, die Mädchen dauerhaft aus der Prostitution herauszulösen.
Anders im Fall von Vera und Maria, beide 15 Jahre alt, Waisenkinder aus Tschechien. Hier gingen die Täter eine "Liebesbeziehung" zu den Mädchen ein. Als sich die Beziehung im Heimatland hinreichend gefestigt hatte, baten die Täter die Mädchen um einen "Gefallen". Sie bräuchten Unterstützung bei einem Projekt in Deutschland und könnten eine längere Trennung nicht ertragen. Die Mädchen folgten den Männern und wurden in Deutschland einem Bordell zugeführt, wobei ihre "Freunde" als Zuhälter fungierten. Selbst als die beiden von der Polizei aufgegriffen wurden, waren sie nicht zu einer Aussage gegen die Täter bereit, sondern wollten sich aus Liebe weiter prostituieren.
Die Schicksale der betroffenen Kinder und Jugendlichen sind vielfältig - jedes einzelne ist eine Tragödie. Die Opfer sind durch das Erlebte häufig für den Rest ihres Lebens gezeichnet. Solange es jedoch nicht gelingt, diese Fälle aus der Anonymität herauszulösen, können Strafverfolgungsbehörden das Phänomen nicht wirksam bekämpfen.
Vor diesem Hintergrund erörterten Praktiker und Forscher im Rahmen des Workshops intensiv die verschiedenen Facetten des Phänomens Handel mit Kindern. Hierbei wurde deutlich, dass Informationen über behördliche Zuständigkeiten hinweg vernetzt werden müssen.
Ein wesentlicher Schlüssel zur Aufhellung dieser häufig im Verborgenen stattfindenden Straftaten liegt in der Bündelung des Expertenwissens von Behörden, Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaftlern.
Zu methodischen Fragen, wie etwa wissenschaftlichen Zugängen zu den kindlichen und jugendlichen Opfern und den Strukturen ihrer Ausbeutung, wurden konkrete Vorschläge für Forschungsansätze entwickelt. Auch für den Bereich des Handels mit Kindern zum Zwecke sexueller Ausbeutung wurde eine umfassende Forschungsidee entworfen, die nicht nur Fragen des Dunkelfeldes, sondern auch Möglichkeiten der Optimierung des staatlichen Handelns und bestehender Hilfsangebote zum Gegenstand haben.
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