BKA: Bundeslagebild Menschenhandel 2009 Bundeskriminalamt veröffentlicht aktuelle Zahlen für Deutschland
Wiesbaden (ots)
Im Jahr 2009 wurden in Deutschland 534 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung abgeschlossen. Dies bedeutet einen erneuten Anstieg der Verfahrenszahlen, im Vergleich zum Vorjahr um 11 % (2008: 482). Die Anzahl der Opfer stieg mit 710 um 5 % gegenüber dem Jahr 2008 (676). Entsprechend der Entwicklung in den vergangenen Jahren stammte auch 2009 der Großteil der Opfer (86 %) aus dem europäischen Raum. Bei den ausländischen Opfern dominierten erneut rumänische und bulgarische Staatsangehörige; die Zahl nigerianischer Opfer stieg auf 34 (2008: 25). Rund 20 % der Opfer waren minderjährig; die Zahl der unter 14-Jährigen ist auf 41 gestiegen und hat sich damit gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt (2008: 20). Die Zahl der wegen Verdachts des Menschenhandels registrierten Tatverdächtigen betrug 2009 777 und damit 1 % weniger als im Vorjahr (2008: 785). Bei den Tatverdächtigen dominierten mit einem Anteil von 36 % erneut deutsche Staatsangehörige (279 von 777). Den größten Anteil bei den ausländischen Tatverdächtigen stellten erneut bulgarische, rumänische und türkische Staatsangehörige.
Nachdem sich in den letzten Jahren Hinweise gehäuft hatten, dass sich bundes- und europaweit nigerianische Gruppierungen im Bereich Menschenhandel etabliert haben, wurden im Februar 2010 - auf Anregung und koordiniert durch das BKA - bundesweit Kontrollen im Rotlichtmilieu durchgeführt mit dem Ziel, Opfer von Menschenhandel aus Westafrika zu identifizieren und Hinweise auf die dahinter stehenden Täterstrukturen zu erlangen. Insgesamt wurden in 13 Bundesländern etwa 600 Bordelle und bordellähnliche Einrichtungen durchsucht; über 100 Polizeidienststellen waren im Einsatz (Pressemitteilung vom 03.02.2010). Trotz des wiederholten Anstiegs der Ermittlungsverfahren ist nach wie vor von einem erheblichen Dunkelfeld im Bereich Menschenhandel auszugehen. Die größte Herausforderung bleibt die Schwierigkeit, Opfer von Menschenhandel zu identifizieren und auf neue Tatbegehungsweisen zu reagieren. Bei Staatsangehörigen aus den neuen EU-Beitrittsländern, insbesondere Rumänien und Bulgarien, aus denen die meisten ausländischen Opfer von Menschenhandel stammen und die sich mittlerweile legal in Deutschland aufhalten und der Prostitution als selbständiger Dienstleistung nachgehen können, besteht häufig der Verdacht der Scheinselbständigkeit und von Ausbeutungsstrukturen. Bei Opfern aus schwarzafrikanischen Ländern beobachten die Strafverfolgungsbehörden zudem besondere Formen der Einschüchterung - beispielsweise bringen die Täter die Opfer durch Voodoo-Rituale in eine psychische Zwangslage. Die Folge ist, dass die Betroffenen in der Regel nicht bereit sind, mit der Polizei und den Fachberatungsstellen zu kooperieren bzw. ihre anfänglichen Zeugenaussagen oftmals wieder zurücknehmen. Als Reaktion auf diese Problematik wurde im vergangenen Jahr auf Initiative des BKA ein Traumaleitfaden entwickelt, der gezielt Polizei, Justiz und kommunaler Verwaltung Hilfestellung im Umgang mit traumatisierten Menschenhandelsopfern bietet. Ein weiteres Forschungsprojekt zur Verbesserung der Opfererkennung wurde initiiert, das aus der Perspektive der Opfer untersuchte, welche Faktoren ihre Aussagebereitschaft determinieren. Danach hindern vor allem die folgenden Faktoren die Betroffenen daran, sich an die Polizei zu wenden oder in Kontrollsituationen zu offenbaren:
Gewalt und Einschüchterungsversuche von Seiten der Täter; der Wunsch, sich durch Migration nach Deutschland einen besseren Lebensunterhalt zu sichern und daher die Bereitschaft, die durch die Täter auferlegte "Schuldenfalle" und Einschüchterungen zu tolerieren; migrationsbedingte Barrieren wie Unkenntnis der Sprache, Schrift und Rechtslage; Angst vor der Polizei oder der Eindruck, die Polizei arbeite mit den Tätern zusammen. Die größten Hemmschwellen bestanden bei Opfern, die durch Voodoo-Rituale ein Schweigegelübde abgelegt hatten oder sich einem System organisierter Kriminalität ausgeliefert sahen. Zugleich zeigte die Untersuchung: Umfassende Beratung wirkt sich positiv auf die Aussagebereitschaft aus. Den meisten Opfern waren jedoch Beratungs- und Unterstützungsangebote nicht bekannt, bevor sie dorthin vermittelt wurden. Ebenso wenig kannten sie ihre Rechte oder wussten die Rolle der Polizei richtig einzuschätzen.
Seit 2005 ist Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft strafbewehrt. Im vergangenen Jahr wurden in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) insgesamt 24 Fälle registriert. Dies entspricht einem erneuten Rückgang der Fallzahlen um 11% (2008: 27). Nach wie vor ist die (illegale) Arbeitsaufnahme in Deutschland ein wesentlicher Antrieb für Migration. Es zeigt sich, dass die Delikte schwerpunktmäßig im Gaststättengewerbe und privaten Haushalten zum Nachteil von Ausländern verübt werden, die sich illegal in der Bundesrepublik aufhalten. Auch in diesem Phänomenbereich muss von einem großen Dunkelfeld ausgegangen werden, da auch hier eine besondere Abhängigkeit der Opfer von den Tätern besteht, die die Opfer in ihrer Kooperationsbereitschaft mit den Strafverfolgungsbehörden einschränkt. Ziel muss daher sein, Bekämpfungskonzepte, die im Bereich Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung seit Jahren erfolgreich in der Praxis angewendet werden, entsprechend anzugleichen bzw. zu erweitern und auf diesen Phänomenbereich zu übertragen (Zusammenarbeit mit Fachberatungsstellen; Sensibilisierung aller mit diesem Phänomenbereich befassten Behörden, insbesondere der Finanzkontrolle Schwarzarbeit).
BKA-Präsident Jörg Ziercke: "Menschenhandel ist ein Kriminalitätsphänomen, bei dem die Täter ein Abhängigkeitsverhältnis ausnutzen und ihre Opfer durch physische und psychische Gewalt gefügig machen. Die Aussagen der Opfer sind von zentraler Bedeutung, um gegen die Täter ermitteln zu können. Polizei und Fachberatungsstellen müssen Opfern, die sich aus eigenem Antrieb an die Polizei wenden wollen, möglichst umfassende Möglichkeiten zur Anzeigenerstattung schaffen - durch verstärkte Präsenz im Milieu, mehrsprachige Informations-blätter, gezielte Ansprachen. Im Rahmen der Befragung der Opferzeugen ist ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und interkultureller Kompetenz notwendig - neben Herkunft und Kultur muss dabei das oft sehr junge Alter der Betroffenen berücksichtigt werden. Unabdingbar ist auch, die Betroffenen umfassend zu beraten - damit sie die Polizei als eine unterstützende Einrichtung wahrnehmen können und genau über ihre Rechte und Möglichkeiten informiert sind. Ebenso müssen wir die Betroffenen umfassend vor Gewalt schützen."
Weitere Einzelheiten finden Sie auf der Homepage des BKA unter www.bka.de unter Berichte und Statistiken / Kriminalitätslage.
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