Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA)
GBA: Anklage gegen Stephan B. wegen des Anschlagsgeschehens am 9. Oktober 2019 in Halle erhoben
Karlsruhe (ots)
Die Bundesanwaltschaft hat am 16. April 2020 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Naumburg Anklage gegen
den deutschen Staatsangehörigen Stephan B.
erhoben.
Der Angeschuldigte ist des Mordes in zwei Fällen (§ 211 StGB) sowie des versuchten Mordes in mehreren Fällen zum Nachteil von insgesamt 68 Menschen (§§ 211, 22, 23 Abs. 1 StGB) hinreichend verdächtig. In zwei Fällen des Mordversuchs besteht zudem jeweils tateinheitlich der hinreichende Tatverdacht der gefährlichen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 und Nr. 5 StGB) sowie der versuchten räuberischen Erpressung mit Todesfolge (§§ 251, 253 Abs. 1, §§ 255, 22, 23 Abs. 1 StGB). Des Weiteren ist Stephan B. unter anderem wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1, § 253 Abs. 1, § 255 StGB), Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 3 StGB) und fahrlässiger Körperverletzung (§§ 229, 230 Abs. 1 StGB) angeklagt.
In der nunmehr zugestellten Anklageschrift ist im Wesentlichen folgender Sachverhalt dargelegt:
Stephan B. plante aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens. Zu diesem Zweck rüstete er sich mit insgesamt acht Schusswaffen, mehreren Sprengsätzen, einem Helm und einer Schutzweste aus und fuhr am 9. Oktober 2019 kurz vor 12:00 Uhr zur Synagoge in der Humboldtstraße in Halle (Saale). Der Angeschuldigte wollte sich zu dem Gotteshaus Zutritt verschaffen und möglichst viele der dort Anwesenden töten. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich in der Synagoge anlässlich der Feierlichkeiten des höchsten jüdischen Feiertags Jom Kippur 52 Gläubige auf.
Wie von Anfang an geplant, filmte der Angeschuldigte das nachfolgende Tatgeschehen mit einer Kamera und verbreitete die Aufnahmen im Wege eines Live-Streams im Internet. Zudem veröffentlichte er unmittelbar vor der Ankunft an der Synagoge Internet-Links zu drei von ihm selbst verfassten Dokumenten. In diesen erläuterte er unter anderem seinen Tatplan und seine Tatmotivation. Außerdem rief er in ihnen dazu auf, alle Juden zu töten und stellte einen Internet-Link zu einer Internetplattform bereit, auf welcher der Live-Stream übertragen wurde. Hierdurch wollte der Angeschuldigte seinen Anschlag einer breiten Öffentlichkeit präsentieren und Nachahmer für vergleichbare Taten gewinnen. Im Einzelnen:
1. Stephan B. stellte zu Beginn seines Live-Streams unter anderem den unter dem Regime der Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges durchgeführten Genozid an den europäischen Juden in Abrede. Danach ging der Angeschuldigte zur Eingangstüre der Synagoge. Dabei ging er davon aus, das Gebäude alsbald betreten und sogleich mit der Tötung der Gläubigen beginnen zu können. Allerdings war er nicht in der Lage, die verschlossene Eingangstüre der Synagoge zu öffnen. Daher warf er eine Sprenggranate auf das dortige Grundstück. Hierdurch wollte er sich dort aufhaltende Gläubige töten oder diese zur Flucht aus der Synagoge bewegen, um sie anschließend erschießen zu können.
Da dieser Plan insoweit misslang, versuchte er das Tor zum Grundstück vergeblich aufzudrücken und sodann aufzusprengen. Der gezündete Sprengsatz verfehlte allerdings die von ihm erhoffte Wirkung. Unmittelbar danach richtete er die vollautomatische Schusswaffe auf eine zufällig vorbeikommende Passantin, die ihn zuvor auf sein Verhalten angesprochen hatte. In ihren Rücken gab er einen Feuerstoß mit vier Schüssen ab. Nachdem er erkannt hatte, dass auch ein erneuter Sprengversuch gescheitert war, lief er auf die leblos am Boden liegende 40 Jahre alte Frau zu und gab einen weiteren Feuerstoß auf sie ab.
Unmittelbar danach lief er zur Eingangstüre zurück und erblickte eine in einiger Entfernung vorbeigehende Passantin. Auch sie versuchte Stephan B. mit seiner Maschinenpistole zu erschießen. Er erkannte allerdings, dass seine Waffe eine Ladehemmung hatte und der Abzug klemmte. Noch bevor er in der Lage war, die Waffe wieder gangbar zu machen, entfernte sich die Passantin.
Nachdem der Angeschuldigte auch nicht über einen Hinterhof auf das Anwesen der jüdischen Gemeinde gelangen konnte, ging er wieder auf die Straße. Dort wurde er von einem Fahrer eines Kleinlieferwagens angesprochen. Auch auf diesen richtete er daraufhin die vollautomatische Waffe, konnte jedoch wiederholt keinen Schuss abgeben, da die Maschinenpistole eine Ladehemmung hatte. Aus diesem Grund ergriff er seine Schrotflinte, um sein Vorhaben umzusetzen. Diese zeitliche Verzögerung nutzte der Fahrer, um sich in Sicherheit zu bringen.
Im Anschluss versuchte er - wiederum erfolglos - ein letztes Mal, sich Zutritt zu der Synagoge zu verschaffen. Zu diesem Zweck gab er drei Schüsse auf die Eingangstüre ab und trat gegen den Türgriff. Dann kehrte er zu dem Fahrzeug zurück, entnahm diesem fünf zuvor selbst hergestellte sogenannte Molotowcocktails, zündete sie an und warf sie über die Mauer des Anwesens der jüdischen Gemeinde.
2. Frustriert über diesen weiteren Misserfolg fasste der Angeschuldigte den Entschluss, den Ort des Geschehens zu verlassen und Menschen mit Migrationshintergrund zu töten. Nach einer kurzen Fahrt durch die Stadt hielt er vor einem Döner-Imbiss an, den er für ein geeignetes Anschlagsziel hielt. Dort hielten sich neben einem Angestellten des Restaurants vier männliche Gäste auf.
Zunächst versuchte er die sich im dortigen Gastraum aufhaltenden Personen mit einer Sprenggranate zu töten. Allerdings verfehlte der Angeschuldigte mit seinem Wurf die Eingangstür, weshalb der Sprengsatz auf dem Bürgersteig explodierte. Beim anschließenden Betreten der Gaststätte traf Stephan B. im Eingangsbereich auf das spätere zweite Mordopfer, einen 20 Jahre alten Mann. Da er ihn fälschlicherweise für einen Angehörigen muslimischen Glaubens hielt, gab er zwei Schüsse aus seiner Maschinenpistole auf ihn ab, die den Geschädigten verfehlten. Dieser flüchtete daraufhin nach drinnen. Ein anderer Gast konnte sich in einem Toilettenraum der Gaststätte verstecken. Im Innern des Lokals angekommen versuchte Stephan B. einen weiteren Gast - auch diesen hielt er irrtümlicherweise für einen Angehörigen muslimischen Glaubens - durch Schüsse aus seiner Maschinenpistole zu töten. Dem Angeschuldigten gelang insgesamt drei Mal keine Schussabgabe, da die Maschinenpistole eine Ladehemmung hatte. Diesen Umstand nutzte das ins Auge gefasste Opfer zur Flucht.
Nunmehr wandte sich der Angeschuldigte wieder seinem späteren Mordopfer zu. Auf ihn sowie einen weiteren Gast des Lokals konnte Stephan B. bedingt durch die nicht zu beseitigende Ladehemmung der Maschinenpistole keinen Schuss abgeben. Während das spätere Mordopfer weiterhin hinter zwei Kühlschränken zusammengekauert liegen blieb, nutzten die übrigen Anwesenden die Gelegenheit zur Flucht. Da die Maschinenpistole immer noch nicht funktionierte, verletzte Stephan B. das spätere Mordopfer mit einem Schuss aus seiner Einzelladerpistole. Der Angeschuldigte ließ sein noch lebendes Opfer zurück und ging zu seinem Kraftfahrzeug, um dort seine Schrotflinte zu holen. Nachdem er diese an sich genommen hatte, beabsichtigte er einen weiteren Passanten wegen seiner Abstammung zu töten. Hierzu gab der Angeschuldigte einen Schuss auf ihn ab, der jedoch fehlging. Der Passant konnte erfolgreich flüchten.
Stephan B. stieg wieder in sein Fahrzeug ein und fuhr auf der Straße einige Meter auf und ab. Dann hielt er wiederum vor dem Döner-Imbiss an, um sein späteres - und bereits angeschossenes - Mordopfer töten zu können. Kurz nach dem Aussteigen wollte er zwei weitere Passanten aufgrund ihrer vermeintlich ausländischen Herkunft erschießen. Diese erkannten allerdings, dass der Angeschuldigte bewaffnet war und entfernten sich schnell. Insgesamt gab Stephan B. zwei Schüsse aus seiner Schrotflinte auf die beiden Flüchtenden ab, die unverletzt blieben.
Nunmehr betrat Stephan B. mit seiner Schrotflinte erneut das Lokal. Aus ihr gab er einen weiteren Schuss auf sein Opfer ab. Nachdem Stephan B. erkannte, dass auch dieser Schuss nicht tödlich war, schoss er noch zwei Mal auf sein Opfer. Der junge Mann erlag noch vor Ort seinen Schussverletzungen.
3. Unmittelbar danach fuhr der Angeschuldigte mit seinem Kraftfahrzeug davon. Allerdings musste er bereits nach wenigen Metern stoppen, weil ihm insgesamt fünf Polizeibeamte mit zwei Polizeifahrzeugen die Weiterfahrt versperrten. Um seine Flucht fortsetzen sowie weitere Menschen töten zu können, schoss der Angeschuldigte insgesamt vier Mal auf die Polizisten ohne einen von ihnen zu treffen. Einer der Polizeibeamten gab aus seiner Maschinenpistole einen Schuss ab, der den Angeschuldigten am Hals traf. Trotz seiner Verletzung gelang es Stephan B., in sein Fahrzeug einzusteigen und seine Flucht fortzusetzen. Bei der anschließenden Fluchtfahrt, die mit überhöhter Geschwindigkeit und auch auf der Gegenfahrbahn stattfand, streifte er mit dem Außenspiegel seines Fahrzeugs einen Fußgänger. Dieser fiel deshalb zu Boden und zog sich dabei Verletzungen zu.
4. Kurz vor 13:00 Uhr stellte Stephan B. sein durch ihn zuvor beschädigtes Fluchtfahrzeug in Landsberg-Wiedersdorf ab. Dort beabsichtigte er, sich in den Besitz eines neuen Fluchtfahrzeugs zu bringen. So verlangte er unter Vorhalt seiner Pistole von einem Anwohner die Herausgabe der Zündschlüssel zu seinem Personenkraftwagen. Dieser Drohung kam der Anwohner nicht nach. Vor diesem Hintergrund schoss ihm Stephan B. in den Nacken und der Lebensgefährtin des Anwohners in den Oberschenkel. Den Tod der beiden Personen nahm er dabei billigend in Kauf. Da der Anwohner auch nach diesen Schüssen den Schlüssel nicht herausgab, musste der Angeschuldigte seine Flucht weiterhin zu Fuß fortsetzen. Nach wenigen Hundert Metern kam Stephan B. zu einer Kfz-Reparaturwerkstatt, wo er wiederum unter vorgehaltener Waffe die Herausgabe eines Fahrzeugs verlangte. Eine der anwesenden Personen kam der Drohung nach und übergab dem Angeschuldigten die Zündschlüssel zu seinem Taxi. In diesem fuhr Stephan B. davon. Schließlich konnte er gegen 13:40 Uhr gefasst werden, nachdem das von ihm gesteuerte Fahrzeug auf der Bundesstraße 91 in Richtung Zeitz frontal mit einem Lastkraftwagen zusammenstoßen war.
Der Angeschuldigte wurde am 9. Oktober 2019 vorläufig festgenommen. Er befindet sich in Untersuchungshaft, nachdem die Bundesanwaltschaft am 10. Oktober 2019 beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs einen Haftbefehl gegen ihn erwirkt hatte (vgl. Pressemitteilungen Nr. 46 und Nr. 47 vom 10. Oktober 2019).
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Markus Schmitt
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