Schwäbische Zeitung: Die Geister sind gerufen - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Das Regieren wird für Angela Merkel an der Seite einer schwindsüchtigen FDP nicht leichter. Die Opposition bohrt nach der Berliner Wahlschlappe genüsslich in der Wunden der Koalition und fordert Neuwahlen. Die Regierung, so die SPD, sei doch längst kein Garant mehr für Stabilität. Das stimmt, doch zu Neuwahlen wird es trotzdem so schnell nicht kommen. Die FDP hat gemerkt, dass ihr euroskeptischer Kurs in Berlin ihr nicht zum Erfolg verholfen hat. Sie will das Experiment wieder einstellen. "Alles nur ein Missverständnis" ist jetzt die Devise. Die FDP sei pro-europäisch und an der Seite der Union. Die Frage ist nur, ob die Liberalen die Geister, die sie riefen, so einfach wieder los werden. Die Debatte ist entfacht, und Schäffler und Mitstreiter werden so leicht nicht locker lassen.
In der Union besteht Ansteckungsgefahr. Röslers "man wird ja wohl mal sagen dürfen" spricht auch vielen Unions-Abgeordneten aus der Seele, nicht nur aus der CSU. Der Haken ist nur: Sagen, was falsch ist, können viele. Darum ringen, was richtig ist, ist weit schwieriger. Genau da aber liegt die Schwäche der Bundesregierung. Weder Merkel noch Rösler können momentan genau sagen, wohin es gehen soll und wie es weitergehen soll. Die FDP weiß, dass sie Profil gewinnen muss, aber sie weiß nicht, womit genau. Der Euro ist das Thema, das die Menschen wirklich umtreibt. Aber es gibt von der Bildung bis zur Energiepolitik wichtige andere Felder, die momentan zu kurz kommen.
Ein Trost für die Liberalen mag sein, dass eine Zeit der tiefen Verunsicherung keine Zeit für große Vertrauensbeweise ist. Wenn Berlins Regierender Klaus Wowereit lästert, dass das konservative Lager in Berlin insgesamt nur auf 25 Prozent kommt, darf darüber nicht vergessen werden, dass selbst in einer linken Stadt wie Berlin die SPD unter 30 Prozent bleibt. Und sich ganz nebenbei auch Klaus Wowereits heimliche Kanzlerkandidaten-Ambitionen erledigt haben dürften, was auch gut so ist. Denn Wirtschaftskompetenz sprechen ihm in Berlin die wenigsten zu.
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