Schwäbische Zeitung: Zeichen in lauter Zeit - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Jedes Jahr diesselbe Prozedur: Keiner weiß was, aber alle sagen was: Wer könnte diesmal vom noblen Nobel-Komitee für preiswürdig erachtet werden? Benennen Sie die üblichen Verdächtigen oder machen Sie einen erfrischend unkonventionellen Vorschlag! Wie wär's mit Bob Dylan? Doch die alten Schweden lassen sich nicht in die Karten schauen. Ihre Entscheidungen sind eigentlich immer für Überraschungen gut. Wer hatte Wislawa Szymborska auf der Liste, wer Harold Pinter? Bestseller-Autoren und Vielschreiber sind nicht automatisch im Visier der Jury. Der Preis für den Peruaner Vargas Llosa vergangenes Jahr war da eher die Ausnahme.
Mag die Entscheidung für Tomas Tranströmer außerhalb Skandinaviens auch verblüffen, so könnte sie doch als Bekenntnis interpretiert werden - als Bekenntnis zur leisen Kunst der Lyrik. Sprache, so heißt es, ist für Tranströmer nie Mittel zum Zweck gewesen, um sich für oder gegen etwas auszusprechen. Seine Gedichte gelten als extrem verknappte Worterkundungen, Reflexionen über Sprache. Lyrik ist kein literarisches Fastfood, sondern braucht Zeit, viel Zeit - zum Schreiben wie zum Lesen. Insofern haben die Schweden mit der Auszeichnung das Augenmerk auf eine Kunst gelenkt, die in unserem medienüberfluteten, überreizten Alltag unterzugehen droht.
Was der Nobelpreis für die Literatur bedeutet? Schwer zu sagen. Für die Preisträger ein Grund zu jubeln. Für die Verlage derselben auch. Bei Hanser in München dürften gestern die Sektkorken geknallt haben. Dort wird Tomas Tranströmers schmales Werk auf Deutsch verlegt.
Die erste deutsche Übersetzung übrigens stammt von Nelly Sachs. Sie hat Tomas Tranströmer in ihrem schwedischen Exil kennen- und schätzen gelernt. Allein das ist schon Empfehlung genug, einen Literaten kennenzulernen, der hierzulande außerhalb des engen Kreises der Experten eher weniger bekannt ist. Und es könnte der Anlass sein, wieder einmal ein Gedicht der fast vergessenen Nobelpreisträgerin von 1966 zur Hand zu nehmen.
Pressekontakt:
Schwäbische Zeitung
Redaktion
Telefon: 07561-80 100
redaktion@schwaebische-zeitung.de
Original content of: Schwäbische Zeitung, transmitted by news aktuell