Schwäbische Zeitung: Die Kanzlerin sticht die CDU-Chefin - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Angela Merkel verbreitet keine Heimeligkeit, keine Wärme. Aber sie strahlt Stärke aus. In einer Zeit der großen Ungewissheiten versucht sie in Leipzig, ihrer Partei die großen Linien aufzuzeigen. Sie erzählt die Geschichte Europas, von Adenauer über Helmut Kohl bis zu ihr. Von der deutsch-französischen Achse zur wirtschaftlichen Einheit. Und Angela Merkel benennt ihre eigene Aufgabe: Europa politisch zu einen. Von ihrer Partei fordert sie den Mut ein, ihr zu folgen. Sie führt.
Dabei hat sie alle Parteipolitik hinter sich gelassen, sie tritt als Staatsfrau auf. Angela Merkel hat das Thema ihrer Kanzlerschaft gefunden: Europa. Die Krise schweißt die Partei zusammen, sie schart sich um ihre Spitze. Schäuble, Merkel, de Maizière - die vertrauten und bewährten Politiker (und wenn es nicht uncharmant wäre, würde man sagen: die alten Gesichter) werden in Leipzig gefeiert.
Es werden aber auch Erinnerungen wach. Angela Merkel hat ihre Partei schon auf einem langen Weg mitgenommen. Vom einst neoliberalen Kurs zum Mindestlohn. Hat in Leipzig 2003 Norbert Blüm geseufzt, er erkenne seine Partei nicht mehr wieder, so ist es jetzt der Wirtschaftsflügel, der da so seine Schwierigkeiten hat. Doch anders als bei der Aussetzung der Wehrpflicht und dem Atomausstieg kam die Forderung nach dem Mindestlohn nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben. Darin drückt sich das Bedürfnis vieler Menschen nach etwas mehr Sicherheit in ungewissen Zeiten aus.
Dieses Verlangen wird in den nächsten Jahren weiter steigen, denn die Schuldenkrise in Europa wird weitere soziale Verwerfungen mit sich bringen. Es wird ungemütlicher werden in Europa und in Deutschland - und Angela Merkel hat nicht versprochen, dass sie dies verhindern kann. Aber sie hat zugesagt, dass sie darauf achten wird, dass Gerechtigkeit herrscht. Dass es keine "Versumpfung des Kapitalismus" geben wird. Die Partei folgt ihrer Kanzlerin. Dass die gute Nerven hat und sich am Ende durchsetzen kann, das hat sie oft genug bewiesen.
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