Schwäbische Zeitung: Unschuldiger Massenmörder - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Es ist ein ehernes Prinzip aller modernen Rechtssysteme: Ohne Schuld keine Strafe. Wem die Fähigkeit fehlt, das eigene Unrecht zu begreifen, einsehen zu können, was er anrichtet beziehungsweise angerichtet hat, der kann dafür nicht verantwortlich gemacht werden. In ihrer Abstraktion ist diese Norm völlig logisch - wer könnte vernünftige Gründe dagegen anführen? Problematisch wird es jedoch häufig, wenn sich das Abstrakte ins Konkrete dreht. Dann stellen sich Fragen der Art: Wie kann ein Mensch unschuldig sein, der ein monströses Verbrechen über Jahre minutiös geplant hat? Wie kann es möglich sein, dass dieser norwegische Massenmörder ohne Strafe davonkommt, obwohl er doch ganz offensichtlich über eine hohe, wenn auch abgrundtief-bösartige Intelligenz verfügt?
Vor allem die Angehörigen der Opfer werden sich diese Fragen stellen. Eher noch: Sie werden von ihnen gepeinigt sein. Es gibt Situationen, in denen der Verstand ohnmächtig ist gegen das Empfinden. Übermächtig sind dann Emotionen. Und genau dem soll das Strafrecht mit seinen Normen entgegenwirken. Es verhindert das alttestamentarische "Auge um Auge - Zahn um Zahn", es setzt die Barrieren gegen Lynchjustiz, es überträgt die Rechtsfindung einer Justiz, die rational, nicht emotional urteilen soll. Anders betrachtet: Rechtssysteme, in denen das Schuldprinzip kein so großes Gewicht hat, lösen immer wieder Empörung aus. Die gipfelt in der Hinrichtung psychisch Kranker - nicht nur in den sogenannten Schurkenstaaten, sondern leider auch in den USA.
Anders Behring Breivik, der 77 Menschen kaltblütig umgebracht hat, wird aller Voraussicht nach nicht bestraft werden können, weil er unzurechnungsfähig und damit unschuldig ist. Und falls sich seine Richter vom Ergebnis der psychiatrischen Gutachter überzeugen lassen, muss man - wenn auch mit einer gewissen Bitterkeit - sagen: Es ist so in Ordnung. Breivik wird in einer Einrichtung für geisteskranke Straftäter landen - voraussichtlich bis ans Ende seiner Tage.
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