Schwäbische Zeitung: Die Mitte ist gefährdet - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Man muss gar nicht in die Ferne nach Griechenland schweifen. Den Deutschen geht es in ihrer Mehrheit blendend. Die europäische Finanz- und Wirtschaftskrise, so hat es den Anschein, ist hierzulande eher als Bäderkur denn als Bedrohung angekommen. Bisher zumindest. Und doch gibt es da dieses erstaunliche Phänomen namens Piraten-Partei. Das ist ein Verein mit reichlich inhaltsleerem Programm. Er ernährt sich überwiegend von Protestwählern.
Protest wogegen? Protest wofür? Sicher ist: Hier artikuliert sich eine diffuse Unzufriedenheit mit der politischen Mitte - und das macht die Angelegenheit prekär. Man könnte lapidar anmerken, dass die Kuh halt aufs Eis geht, wenn es ihr zu wohl wird. Man könnte aber auch ganz ernsthaft die Frage stellen, welche politischen Kräfte in Deutschland wohl profitieren würden, wenn es dem Land richtig schlecht ginge.
Wie beispielsweise den Griechen. Oder - in noch erträglicherem Ausmaß - den Franzosen, den Italienern, den Spaniern und den Portugiesen. Die griechischen Wähler hatten allen Grund, mit ihren Parteien der Mitte unzufrieden zu sein. Sie haben in großer Zahl linke und rechte Extremisten gewählt, von denen sie aber bei rationaler Betrachtung keine Besserung ihrer Malaise zu erwarten haben. 18 Prozent der Franzosen haben dem rechtsextremen Front National ihre Stimmen gegeben, weil sie der bürgerlichen Mitte nicht mehr vertrauen. Man kann in diesem Verhalten jeweils eine Momentaufnahme, einen Reflex auf tatsächliches oder gefühltes Versagen der etablierten Politik erkennen und darauf hoffen, dass der Spuk mit einer wirtschaftlichen Erholung wieder verschwindet.
Aber man kann auch Schlimmeres ahnen. Wenn - hier wie dort - das Grundvertrauen in jene Parteien schwindet, die für die demokratische Verfasstheit einer Gesellschaft stehen, dann erwächst aus der Finanz- und Wirtschaftskrise die Krise der europäischen Demokratien. Die Folgen wären unabsehbar, jedenfalls aber katastrophal.
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