Schwäbische Zeitung: Nicht klagen, umdenken - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Er ist in aller Munde - und doch ist umstritten, ob es ihn gibt: der Fachkräftemangel. Die Politik macht sich gerne für Aktionen stark, die ihn abmildern sollen. Unternehmen klagen, dass sie schwer Fachkräfte finden. Aber Arbeitssuchende wundern sich, warum sie Absagen kassieren. Wer gehört überhaupt in diese gesuchte Kategorie?
Tatsächlich geht es nicht nur um Ingenieure und IT-Spezialisten, sondern auch um qualifizierte Mitarbeiter im Handwerk, in der Pflege und im Handel. Einige Branchen spüren schon einen Mangel an Fachkräften, andere noch nicht. Das Gros der Demografie-Experten glaubt: Mit der Zahl der Menschen in Deutschland schrumpft die Zahl der Fachkräfte.
Jobsuchenden fallen die Chancen deswegen nicht vor die Füße: Arbeitnehmer müssen am Ball bleiben. Lange Jobpausen, geringe Qualifikation und versäumte Weiterbildung verschlechtern die Aussichten - auch bei Fachkräftemangel. Das ist aber nur eine von fünf Schrauben, an denen gedreht werden muss. Die Zweite: Es ist unerlässlich, dass Deutschland für ausländische Fachkräfte - die Besten im globalen Wettbewerb - attraktiver wird. Dritte Schraube: Nachwuchs ins Haus holen. Es gibt Betriebe, die sich Investitionen in Aus- und Weiterbildung sparen und qualifiziertes Personal woanders abgreifen. Hausgemachte Probleme. Wer als Unternehmen attraktiv bleiben will, muss mehr bieten als die Lohntüte. Vierte Schraube: Frauen. Qualifiziert, motiviert - doch die Familiengründung wirft sie viel zu oft aus der Berufslaufbahn. Damit das so bleibt, zahlt die Politik nun 100 Euro Betreuungsgeld anstatt Eltern bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu unterstützen. Ein falscher Schritt, wenn die Regierung im Kampf gegen den Fachkräftemangel ernst genommen werden will.
Umso mehr müssen Unternehmen umdenken und Chancen schaffen: für ausländische Fachkräfte, für berufstätige Eltern, für die Jugend, und - fünfte Schraube - für die über 50-Jährigen. Denn das Potenzial ist da. Wer über Fachkräftemangel klagt, muss sich öffnen für patente Bewerber, die bislang durchs Raster gefallen sind.
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