Schwäbische Zeitung: Das Glas ist unschuldig - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Wenn einer bei einbrechender Dunkelheit mit dem Stemmeisen durchs Wohnviertel spaziert, dann könnte es sich um einen Einbrecher handeln. Wenn jemand zur lauen Sommerabendzeit mit einer Cola- oder Bierflasche am Konstanzer Seeufer flaniert, dann könnte er später Scherben hinterlassen. Es droht also jeweils Gefahr. Aber während das nächtliche Mitführen von Stemmeisen noch immer erlaubt ist, hat die Stadt Konstanz die Glasflaschen beziehungsweise ihre Besitzer mit einem Bann belegt.
Ein plumper, ein konstruierter Vergleich? Vielleicht. Aber er deutet doch eine Grundsatzfrage an, auf die der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof gestern die richtige Antwort gefunden hat. Die Frage lautet: Wie abstrakt oder konkret muss eine Gefahr sein, um daraus ein allgemeines Verbot abzuleiten? Und die Antwort der Richter - sehr salopp formuliert: Der Glasflaschenträger hat als ebenso unschuldig zu gelten wie der Stemmeisenmann.
Es ist schon klar: Die Stadt Konstanz wollte mit dem Verbot ein Phänomen bekämpfen, welches allen Städten mehr oder weniger zu schaffen macht. Es ist der zunehmende, alltägliche Vandalismus, oft einhergehend mit Saufgelagen, Prügeleien und anderen Kollateralärgernissen. Aber die Ordnungshüter vom See haben dreierlei außer Acht gelassen. Erstens: All das, was das Glasverbot verhindern sollte, ist bereits verboten. Flaschen einfach wegzuwerfen, Scherben zu hinterlassen, ist allüberall mit einem Bußgeld bewehrt. Nächtliche Ruhestörung ebenfalls. Die Polizei kann hartleibige Randalierer in Gewahrsam nehmen. Wozu also ein weiteres Verbot - das auch nicht besser durchgesetzt werden kann als die bisherigen?
Zweitens: Die meisten Menschen, die aus einem Glas oder einer Flasche trinken, entsorgen ihr Behältnis ordnungsgemäß. Drittens: Im nächsten Schritt wäre dann ein Verbot von Tetrapacks und/oder Plastikbechern logisch. Aber Sankt Bürokratius, dieser typisch deutsche Geselle, kann nicht jedes Problem lösen.
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