Schwäbische Zeitung: Altmaiers Spiel auf Zeit - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Windparks im Norden und Osten Deutschlands werden reihenweise abgeschaltet, weil niemand den Strom gebrauchen kann. Gleichzeitig will die Regierung Maschinenbauer und Chemiefabriken im Süden und Westen mit Prämien dazu drängen, ihre Produktion zu drosseln, wenn nicht genug Saft im Netz ist. Bezahlen soll beides der Steuerzahler, der voraussichtlich heute erneut extra zur Kasse gebeten wird: Dann nämlich wollen Union und FDP im Bundestag beschließen, dass die Stromverbraucher für die Anschlussprobleme der Nordseewindparks noch tiefer in die Tasche greifen sollen als bisher bekannt.
Die deutsche Energiewende, einst mit viel Euphorie und einem satten "Wir können das!" gestartet, bietet Ende November 2012 ein Bild des Jammers: Die Regierung lockt Industrie und Stromproduzenten weiter mit viel steuerfinanziertem Zuckerbrot. Hin und wieder droht der zuständige Umweltminister Peter Altmaier aber auch eher lustlos mit der Peitsche: Mal appelliert er an die Verbraucher, zu dreiste Preiserhöhungen abzustrafen. Mal fragt er die Länder, welche energieintensiven Betriebe nicht mehr bevorzugt werden sollen. Mal bringt er ein winterliches Abschaltverbot für defizitäre Kraftwerke ins Spiel. Er gewährt der Industrie einen kurzen Blick auf die Folterwerkzeuge - einsetzen wird er sie nicht.
Denn Altmaier spielt auf Zeit. Ziel der Flickschusterei ist der kommende Herbst: Bis zur Bundestagswahl soll Ruhe herrschen beim einstigen Vorzeigeprojekt. Abgeschaltete Aluminiumhütten kann sich die Regierung im Vorwahlkampf ebenso wenig leisten wie massive Netzausfälle, vergrätzte Stromproduzenten oder entfesselte Wutbürger an Fernleitungstrassen. Also muss Altmaier weiter vermitteln, verhandeln und hoffen, dass er alle ins Boot holt.
Die dringend nötige tiefgreifende Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes wird Altmaier bis zur Bundestagswahl verschleppen. Die Zeit, die er verstreichen lässt, ist verloren: Für die nächste Regierung sowie für den Standort Deutschland.
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