Schwäbische Zeitung: Eine vergebene Chance - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Charles de Gaulle und Konrad Adenauer hätten eigentlich allen Grund zur Freude: Ihr 1963 aus den Trümmern Europas geborener Élysée-Vertrag hat sich nicht nur ein halbes Jahrhundert lang bewährt. Die institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen den früheren "Erbfeinden" ist inzwischen so eng, dass sie weltweit Ihresgleichen sucht.
Nicht nur, dass die Kabinette und Parlamente beider Länder zusammenkommen, wie jetzt in Berlin. Etwa 2200 Städtepartnerschaften und Millionen Teilnehmer an Austauschprogrammen schlagen täglich Brücken über den Rhein.
Und doch bleiben sich die Nachbarn oft fremd, ja sogar gleichgültig: Daran haben die Feierlichkeiten nichts geändert. Jenseits schöner Worte wirkte die Stimmung seltsam schwunglos, das Duo Merkel-Hollande in seiner kurzen Pressekonferenz gespannt. Da mochte Frankreichs Präsident noch so sehr "den Funken" zwischen ihm und Angela Merkel beschwören, der "ganz ohne Strom" übergesprungen sei, und die Kanzlerin vom "Geheimnis" ihrer Beziehung schwärmen - Enthusiasmus sieht anders aus. Politisch und gesellschaftlich ziehen Berlin und Paris in entgegengesetzte Richtungen. In Libyen und Mali prescht Frankreich militärisch vor, während Deutschland den Kampfeinsatz meidet. Ökonomisch gerät unser Nachbarland ins Hintertreffen, während die hiesige Wirtschaft aufdreht.
Auch im Alltag sind Deutsche und Franzosen oft weit voneinander entfernt. Klischees und Vorurteile bestehen weiter. Die Sprachkenntnisse auf beiden Seiten des Rheins gehen stark zurück. Bei der Steuer-, Energie- und Transportpolitik fehlen dem deutsch-französischen Tandem gemeinsame Projekte. Baustellen gibt es viele, doch abgesehen von einer konkreten Mittelzusage für das gemeinsame Jugendwerk gab es nur spärliche neue Impulse.
Die "Goldene Hochzeit" wäre Gelegenheit gewesen, die Freundschaft zu erneuern, statt ihrer lediglich zu gedenken. Diese Chance hat die Politik vertan. Sie muss aufpassen, dass den Nachbarn nicht irgendwann wieder die verbindenden Worte fehlen.
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