Schwäbische Zeitung: Das Tauwetter war überfällig - Kommentar
Leutkirch (ots)
Er beginne zu glauben, dass die Linke recht habe, schrieb vor eineinhalb Jahren Frank Schirrmacher in einem aufsehenerregenden Essay. Angela Merkel habe die moralischen Folgen der Krise in der Eurozone nicht thematisiert, war sein Vorwurf. Nun kann man zu Merkels Gunsten erklären, dass sie bis heute genug mit der politischen und materiellen Bewältigung der Krise zu tun hat. Es stimmt aber auch, dass sich in Deutschland nicht nur gefühlt, sondern auch real Gewichte verschieben. Dass die bürgerliche Mitte ihre Chancen eher schwinden denn wachsen sieht, dass es einige Superreiche und immer mehr Arme gibt. Aus Arbeitsplätzen sind allzu oft Jobs geworden. Der Glaube an die Maxime vom Wohlstand für alle gerät zunehmend ins Wanken. Die Regierung Merkel ist klug genug, dieses Unwohlsein zu spüren. Nicht von ungefähr kommen auch in der CDU plötzlich Themen wie Mindestlohn und Leiharbeit ganz oben auf die Themenliste. Doch über die zunehmende Ungleichheit im Land verweigert die schwarz-gelbe Koalition noch die Auseinandersetzung mit der Opposition. Das ist falsch, Gerechtigkeit ist der Debatte wert. Die Deutungshoheit von Politik darf die Regierung Merkel nicht den Märkten überlassen.
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