Schwäbische Zeitung: Leitartikel - Die Politik muss sich hinterfragen
Ravensburg (ots)
Der Grüne strickt unentwegt. Der Sozialdemokrat kann nicht mit Geld umgehen. Der Liberale ist rührend um das Wohlergehen seines Zahnarztes bemüht. Und der CSU-Politiker ist ein Amigo mit Selbstbedienungsmentalität: Besondere Freude bereiten Vorurteile, wenn sie sich zu bewahrheiten scheinen. So wie dieser Tage in Bayern. Dort haben 79 Abgeordnete seit dem Jahr 2000 Verwandte ersten Grades als Bürohilfen angestellt und teilweise üppigst dafür entlohnt. Dass die meisten von ihnen für die CSU im Maximilianeum oder in der Regierung sitzen oder saßen, spiegelt die Mehrheitsverhältnisse im Parlament wider - und überrascht im Land von Ludwig Thoma und dem Bullen von Tölz nicht weiter.
Heißt man nun Christian Ude und ist Wahlkämpfer für die chronisch gebeutelte Bayern-SPD, wittert man Morgenluft, ruft "Skandal" und fordert reihenweise Rücktritte. Heißt man nun Barbara Stamm und gehört zu den auf die absolute Mehrheit hoffenden Christsozialen, gibt man die brutalstmögliche Aufklärerin, veröffentlicht eine Liste mit 79 Namen und erklärt darüber hinaus, dass sich alle Betroffenen an geltendes Recht gehalten hätten. Die heftigen Reaktionen aus beiden Lagern zeigen: SPD und CSU haben die Job-Affäre vor der Landtagswahl im Herbst als ein Thema identifiziert, das den Wahlkampf beeinflussen könnte. Das ist richtig erkannt - und greift doch zu kurz.
Unabhängig von parteipolitischen Scharmützeln, unabhängig von spitzfindigen Grenzziehungen zwischen Legalität und Legitimität müssen sich Politiker in Bayern und anderswo Grundsätzlicheres fragen: Wie weit haben sie sich von jenen Menschen entfernt, die sie doch in den Parlamenten repräsentieren sollen? Weshalb verlieren offenbar immer mehr von ihnen das Gefühl dafür, was die Bürger dieses Landes für anständig und angemessen und honorig halten? Auch von den Antworten auf diese Fragen hängt es ab, ob wir uns im andauernden Kampf gegen die Politikverdrossenheit noch etwas von Parteien und Parlamentariern erhoffen dürfen.
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