Schwäbische Zeitung: Erdogan ist nicht unser Mann - Leitartikel
Ravensburg (ots)
Türkische Demonstranten haben am Wochenende in Stuttgart, Mannheim und Hamburg auf die dramatischen Ereignisse in Istanbul und anderen Orten der Türkei aufmerksam gemacht. Der Ministerpräsident der regionalen Supermacht verliert das Augenmaß, lässt verhaften und verhöhnt auch noch jene, die ihn kritisieren. Recep Tayyip Erdogan erinnert immer mehr an den früheren ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak. Dessen Gegner sammelten sich auf dem Tahrir-Platz. In Istanbul heißt der Ort der Proteste Taksin-Platz.
Erdogan, der Mann der Modernisierung, steht genau dieser jetzt im Wege. Für viele Türken ist der cholerische Regierungschef nicht mehr tragbar. Sie wissen, wie schnell der gute Ruf der Türkei als einem modernen Staat durch Aktionen wie die Polizeieinsätze am Taksin-Platz zunichte gemacht wird.
Die Urangst der seit zwölf Jahren herrschenden Islamisten von der Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP) ist die Sorge, dass ihr Umbau der Türkei in einen sehr islamischen Staat wieder rückgängig gemacht werden könnte. Der AKP-Star Erdogan, Sohn anatolischer Zuzügler aus einem Istanbuler Armenviertel, versucht dem entgegenzusteuern: der öffentliche Konsum von Alkohol soll so erschwert werden, dass sich irgendwann niemand in einer Kneipe mehr traut ein Bier zu bestellen. Erdogan lässt gewachsene Istanbuler Quartiere schleifen, um moderne Stadtentwicklung zu betreiben. Weil er sich für unentbehrlich hält, würde er gerne die Verfassung ändern, um seinem Land noch eine dritte Amtszeit dienen zu können.
Erdogan hat nie akzeptiert, dass eine Modernisierung, wie er sie so erfolgreich betrieben hat, eben auch eine entwickelte Zivilgesellschaft bedeutet. Vom Tierschützer-Verein bis zur Schwulen-Initiative hat zumindest die Metropole Istanbul eine Vielfalt an Bürgergruppen zu bieten, wie keine andere islamische Großstadt im Nahen Osten. Stattdessen schreckt Erdogan seine Bürger und brüskiert ausländische Alliierte. Ein geschätzter Partner wird er nach diesem Wochenende nicht mehr sein.
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