Schwäbische Zeitung: Wahlkampf in Spendierhosen - Leitartikel
Ravensburg (ots)
Natürlich muss eine Regierungschefin zu den Opfern einer Katastrophe reisen. Um ihnen Mut zuzusprechen, um den Menschen in Passau oder Grimma zu zeigen, dass sie nicht alleine gelassen werden mit den Folgen dieser wer weiß wievielten Jahrhundertflut. Das sollte sie tun, egal ob nun eine Wahl ansteht oder nicht. Angela Merkel versprach Passau 50 Millionen Euro und Bayerns Ministerpräsident will noch einmal die gleiche Summe beisteuern. Aber muss die Bundeskanzlerin es so tun, wie sie es macht? Und muss sie das noch mit der Bemerkung versehen, dass das gut verwendetes Geld sei im Vergleich zu all den anderen Ausgaben, die man so tätige? Welche anderen Ausgaben die Bundeskanzlerin wohl meint? Etwa die geschätzt 28.000 Millionen Euro (zu deutsch: 28 Milliarden), die sie vergangene Woche den Wählern versprochen hat? Diese Zückerchen in Form von Kindergeld und Kinderfreibeträgen führen ja unterdessen sogar zu Verwerfungen in der CDU und der Koalition. Monate vor ihrer möglichen Wiederwahl scheint eine nahezu allseits beliebte Regierungschefin das Maß zu verlieren. Sagt ihr denn niemand im Kanzleramt, dass das nicht nur gut ankommt, wenn man mit Gummistiefeln und in Spendierhosen so offensichtlich Wahlkampf macht? Dass es eine Grenze des guten Geschmacks auch in der Ausgabenpolitik gibt? Dass nichts fataler wäre, als den Eindruck zu vermitteln, dass ihr bei den Millionen, Milliarden und Billionen, mit denen sie tagtäglich jongliert, ein wenig das Gespür dafür abhanden kommt, wie schwer das Geld verdient ist, dass sie spendiert? Niemand ist Schuld an dieser Flut. Ein Wahlkampf in Deutschland hat seine eigenen medialen Gesetze, denen auch Frau Merkel folgt. Doch der Wähler hat bei aller Bewunderung für die Gelassenheit von Frau Merkel auch ein Gespür für Anstößigkeiten. Wenn Horst Seehofer sich in der Symbolik vergreift, ist das so normal wie ein neuerlicher Ausrutscher von Peer Steinbrück. Die Wähler kennen das schon. Aber die Kanzlerin doch nicht, haben wir immer gemeint. Doch, auch die Kanzlerin.
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