Schwäbische Zeitung: Eine Partei wartet ab - Leitartikel
Ravensburg (ots)
Etwas surreal mutet dieser Parteitag in Leipzig an. Die Delegierten sprechen einem SPD-Parteichef das Vertrauen aus. Sie wissen aber noch nicht, ob sie dem von ihm eingeschlagenen Weg in eine Große Koalition folgen werden. Sie wollen heute eine Generalsekretärin wählen, die vielleicht in Kürze Ministerin wird. Sie bereiten den Weg für eine Große Koalition, blinken aber gleichzeitig nach links, um auch störrische Anhänger mitzunehmen. Der Zeitpunkt des Parteitags ist unpassend, doch er war nicht zu verschieben.
Die Stimmung in Leipzig ist genauso verhalten wie bei den SPD-Anhängern im ganzen Land. Auch wenn Manuela Schwesigs Drohung, keine Große Koalition zu wollen, eher unter der Rubrik Theaterdonner für den Parteitag abzuheften ist, bleibt der Eindruck: Es läuft schwierig und zäh bei den Verhandlungen mit der Union.
Kein Wunder, dass die SPD-Basis da keine Freude beim Gedanken ans Regieren mit Angela Merkel empfindet. Sie ist und bleibt misstrauisch, sie würde es nicht verzeihen, wenn es am Ende wieder einmal nur um Posten und Macht ginge. Gabriel kann den Beweis einer sozialdemokratischen Handschrift im Koalitionsvertrag noch nicht antreten. Doch er hat sich Vorschuss-Vertrauen erarbeitet, dass er derjenige sein könnte, der sozialdemokratische Inhalte, vom Mindestlohn bis zur Rente nach 45 Arbeitsjahren, durchsetzen kann.
Er hat in Leipzig eine nüchterne Standortbeschreibung gegeben und ein ehrliches Wahlergebnis erhalten. Er hat Fehler eingestanden und in seiner Rede ausgearbeitet, wo die SPD wieder Boden gutmachen muss. Sie muss Wirtschaftskompetenz vermitteln, und wichtiger noch, die ganz normalen Menschen ansprechen. Jene, die wie Guido Westerwelle es immer sagte, jeden Morgen aufstehen, zur Arbeit gehen, Geld verdienen und Steuern zahlen.
Gabriel will die kulturelle Kluft zum Kern der Arbeitsgesellschaft wieder schließen. Übersetzt heißt das: Die Facharbeiter von der CDU zurück zur SPD holen.
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