Schwäbische Zeitung: Wenn Jammern Kultur wird - Leitartikel
Ravensburg (ots)
Es gibt Armut und Not mitten im Reichtum. So war es immer schon, und es wird sich nie etwas daran ändern - in keinem Land der Erde. Als sich die Schwäbische Zeitung zusammen mit der Caritas zur Weihnachtsaktion 2013 entschlossen hat, stand das Wissen Pate, dass auch in unserer Region Menschen leben, die auf Hilfe und Solidarität der Gesellschaft angewiesen sind. Wohlgemerkt: der Gesellschaft.
Aber warum hilft ihnen der Staat nicht? Warum helfen die Arbeitgeber nicht, indem sie einen Mindestlohn von zehn, 15 oder 20 Euro zahlen? Die Antwort ist jeweils ganz einfach. Der Staat hat das Geld nicht. Er wird auch nie in der Lage sein, all die vielschichtigen Ursachen materieller Schieflagen zu beseitigen. Und etliche Arbeitgeber wären bald keine Arbeitgeber mehr, weil sie Insolvenz anmelden müssten. Anders formuliert: Nicht überall, wo ein guter Wille ist, ist auch ein guter Weg. Es ist sogar zu befürchten, dass sich vermeintliche Wohltaten als Übeltaten erweisen. Da kursieren Zahlen, wonach der angepeilte Mindestlohn von 8,50 Euro bis zu zwei Millionen Arbeitsplätze kosten könnte. Und alle anderen sozialen Wohltaten, über die Union und SPD gerade beraten, müssten solide finanziert sein. Sie sind es aber nicht. Vielmehr werden unverantwortliche Summen auf die junge Generation und die folgenden Generationen abgewälzt. Wohltat oder Übeltat?
Befeuert wird diese Sozialpolitik mit dem Füllhorn durch eine paradoxe Situation. Es geht dem Land vergleichsweise sehr gut. Gleichzeitig hat sich aber eine breite Kultur des Jammerns etabliert. Punktuelle soziale Missstände werden zum Missstand der gesamten Gesellschaft erhoben. Aus vermeintlicher oder tatsächlicher Ungerechtigkeit im Einzelnen wird die Ungerechtigkeit im Allgemeinen. Aber Deutschland ist nicht das Land der armen Rentner, der Geringverdiener, der Sozialhilfeempfänger, der bedürftigen Kinder, der schlecht versorgten Kranken. Nein, Deutschland ist noch immer ein Land, in dem es der breiten Masse so gut geht wie in kaum einem anderen Land der Erde.
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