Schwäbische Zeitung: Tausche Oettinger gegen Schulz - Leitartikel
Ravensburg (ots)
Nein, das europäische Personalpaket wird nicht in Berlin entschieden. Aber es wird dort maßgeblich mitbestimmt und mitverhandelt. Die SPD ist trotz eines fulminanten Erfolges eben doch Zweiter, in Berlin wie in Brüssel. Ihre Werbung, endlich einen Deutschen als Kommissionspräsidenten zu haben, hat nicht gezogen. Der Ball liegt im Feld der Europäischen Volksparteien EVP. Aber SPD-Chef Gabriel, Meister im Verhandeln, versucht auch dieses Mal, das Beste aus der Niederlage zu machen. Er macht indirekt die Rechnung auf, dass die Union, wenn sie anständig ist, nicht in einer Parteienfamilie mit Berlusconis deutschlandfeindlicher Forza Italia oder mit Victor Orbans rechtspopulistischer Fidesz bleiben kann - und dass ohne diese Dunkelparteien die EVP auch keine Mehrheit hätte.
Dieser Hinweis entbehrt nicht einer gewissen Logik. Schließlich hat die CDU in Deutschland gerade ganz klar eine Zusammenarbeit mit der eurokritischen AfD ausgeschlossen. Auch wenn deren Chef Bernd Lucke schon mit dem Hinweis winkte, Merkel müsse sich wegen der strukturellen rot-rot-grünen Mehrheit andere Optionen schaffen.
Doch Angela Merkel schielt langfristig eher auf die Grünen, muss bis auf Weiteres aber erst einmal mit den Sozialdemokraten gut auskommen. Und es könnte sein, dass in den nächsten Jahren nicht nur in Berlin, sondern auch in Brüssel eine Art von Großer Koalition nötig sein wird. Konservative wie Sozialisten sind auf Partner angewiesen, durch das Erstarken der Rechten hat keiner für sich eine Mehrheit. Und auch hier ist Merkel, speziell nach François Hollandes Bauchlandung bei der Europawahl, die starke Frau Europas.
Es ist deshalb durchaus möglich, dass der konservative Jean-Claude Juncker Kommissionspräsident wird, dass der deutsche Kommissar oder eine andere Spitzenpositon aber, obwohl die Union die stärkste Kraft ist, aus den Reihen der SPD genommen wird. "Tausche Oettinger gegen Schulz" könnte dann die Devise sein, um den Koalitionsfrieden zu wahren und in Europa voranzukommen.
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