Schwäbische Zeitung: Zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes: Traurig für die Frauen
Ravensburg (ots)
Es ist ein klares Urteil: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat den verpflichtenden Sprachtest für zuzugswillige Ehepartner aus Nicht- EU-Staaten für rechtswidrig erklärt. Grund ist ein Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabkommen mit der Türkei aus dem Jahr 1970, das Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit ausschließt. Praktische Auswirkungen hat der Richterspruch in allererster Linie im Verhältnis zwischen Berlin und Ankara. Auf den ersten Blick wirkt die Entscheidung ja familienfreundlich. Eine Schikane scheint beseitigt, schließlich kann die zuziehende Ehefrau oder der Mann die deutsche Sprache auch hier erlernen. Aber dieser erste Blick blendet jene Realitäten aus, die den Gesetzgeber im Jahr 2007 bewogen haben, den Test, der lediglich Grundkenntnisse voraussetzt, vor der Einreise verpflichtend zu machen.
Arrangierte Ehen und Zwangsheirat - die Grenzen sind fließend - sind nach wie vor ein Problem vorwiegend im muslimischen Kulturkreis. Belastbare Zahlen gibt es nicht, aber die türkischstämmige Soziologin Necla Kelek hat im Jahr 2005 mit ihrem Buch "Die fremde Braut" die deutsche Gesellschaft aufgerüttelt. Überwiegend sind es demnach kaum dem Kindesalter entwachsene Frauen, die nach der Verheiratung in der Türkei dem Mann nach Deutschland folgen. Sie sind oft in patriarchalischen Strukturen gefangen und lernen dann eben kein Deutsch mehr, weil ihre Männer daran kein Interesse haben. Diese jungen Migrantinnen werden integriert - aber nicht in die deutsche Gesellschaft, sondern in die türkische Parallelgesellschaft.
Der Sprachtest sollte dem entgegenwirken und die Startchancen der Frauen verbessern. Erschweren sollte der Sprachtest auch Scheinehen, deren Zweck einzig in einer Eintrittskarte für Deutschland liegt. Wer in diesen Fällen von Schikane spricht, muss schon sehr blauäugig sein. Fazit: Die europäischen Richter haben eine Integrationshilfe abgeschafft, zum Schaden junger Migrantinnen, zum Schaden dieser Gesellschaft - inklusive der gut integrierten türkischstämmigen Mitbürger.
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