Schwäbische Zeitung: "Der Westen ist gescheitert" - Leitartikel zum Fall von Kundus
Ravensburg (ots)
Die Bundeswehr ist in Afghanistan jahrelang eingesetzt worden, um Krieg zu führen. Der Fall von Kundus an die radikalislamischen Taliban ist deshalb eine schwere Niederlage für die deutsche Außenpolitik, gleich unter welcher Regierung sie formuliert worden ist - und auch, falls die Regierung die Stadt wieder zurückerobern sollte.
Jahrelang vermied Berlin das Wort "Krieg", obwohl mehr als 50 Bundeswehrsoldaten am Hindukusch fielen und seit 2001 fast 70000 Menschen dort umkamen. Jetzt befinden sich Tausende afghanische Helfer der deutschen Soldaten in akuter Lebensgefahr. Die Taliban wollen Rache und werden "Kollaborateure" keinem rechtsstaatlichen Verfahren unterwerfen.
Niemand kann sich nun überrascht geben und heucheln, dass der militärische Erfolg der Islamisten ganz plötzlich zustande gekommen ist. Im Herbst 2013 hat die Bundeswehr feierlich ihr Feldlager in Kundus an die afghanische Regierung übergeben. Seitdem folgte eine Hiobsbotschaft auf die andere. Die Taliban griffen wiederholt an, die Verteidiger konnten sie trotz Ausbildung durch Nato-Soldaten nicht abwehren. Schon im Juni standen die Aufständischen am Stadtrand von Kundus. Jetzt droht den Bewohnern ein Terrorregime.
Der Westen ist am Hindukusch gescheitert. Und über den Sinn und Zweck des Bundeswehr-Einsatzes muss diskutiert werden. Die "großen zivilisatorischen Erfolge", deren sich viele Vertreter des westlichen Bündnisses rühmten, werden nun zusammengeschossen. Zehn Jahre war die Bundeswehr vor Ort. An der Einsatzstrategie hat es häufig Kritik gegeben. An der grassierenden Korruption hat sich nie wirklich etwas geändert. Warlords konnten immer ihre Geschäfte machen. Wahrscheinlich werden sie sich irgendwie mit den Taliban arrangieren.
Für die jedoch, die auf Deutschland und andere Verbündete gesetzt haben, gilt das nicht. Sie werden versuchen, aus Afghanistan zu flüchten, um ihr nacktes Leben zu retten. Die Hoffnungen auf ein halbwegs geordnetes Leben gibt es für sie nicht mehr.
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