Schwäbische Zeitung: Stuttgarter Alltag - Leitartikel zur Koalition in Baden-Württemberg
Ravensburg (ots)
Wer nun Revolutionäres im Sinne von etwas bahnbrechend Neuem erwartet hat, der mag enttäuscht sein. Aber was soll auch so Aufregendes herauskommen, wenn sich zwei bürgerliche Parteien mit gestandenen Verhandlungsführern nach einem eindeutigen Wahlergebnis auf ein Regierungsbündnis einigen? Die erste grün-schwarze Regierung steht, allein dieses Faktum ist etwas für die Geschichtsbücher.
Gleiches gilt für Winfried Kretschmann, erster grüner Ministerpräsident in der Bundesrepublik, nun erster Regierungschef einer neuen Koalition, die so das Land noch nicht gesehen hat. "Historisch" ist so ein Adjektiv, das mit viel Pathos aufgeladen ist. Wahrscheinlich trifft eine nüchterne Betrachtung mehr. Für Grüne wie Schwarze war es wichtig, dass sie ihre Markenkerne aus dem Wahlkampf in den Regierungsvertrag herüberretten. Auf den ersten Blick ist das der CDU gelungen. Innere Sicherheit, ländlicher Raum, Schule. Das sind Politikfelder, über die sich die Christdemokraten in Baden-Württemberg definieren. Nun haben sie die Gelegenheit, ihren Anhängern zu zeigen, dass auch als Juniorpartner mit den Grünen Unions-Programmatik durchgesetzt werden kann.
Die Grünen wiederum zeigten sich in den Verhandlungen außerordentlich diszipliniert. Mit der Umwelt und dem Verkehr, aber auch den Finanzen werden sie zu punkten versuchen. Eine Politik der Nachhaltigkeit nehmen beide Parteien für sich in Anspruch.
Dennoch dürfte trotz klarer Mehrheit keine Langeweile im Stuttgarter Landtag aufkommen. Die grün-schwarze Allianz bietet einer konstruktiven Opposition gleich zu Beginn genügend Angriffsfläche: In einer Zeit, in der die EU am Scheideweg steht, wird das Europaressort lieblos verhökert. Das Integrationsministerium wird aufgelöst. Ähnlich erklärungsbedürftig ist die Idee, die Grunderwerbssteuer wegen Milliarden-Defiziten abermals erhöhen zu wollen. Mit einem Wort: Übermächtig ist diese Regierung nicht. Der Alltag beginnt früher als erwartet.
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