Schwäbische Zeitung: Reförmchen zum Wahljahr - Kommentar zu Steuerreform/Koalitionsgipfel
Ravensburg (ots)
Gab es schon einmal ein Wahljahr, in dem die Steuern nicht gesenkt wurden? Wohl kaum. In elf Monaten wird der Bundestag neu gewählt und so verwundert es nicht, dass die Koalition in ihrem Endspurt erstens den Eindruck der Handlungsfähigkeit vermitteln und zweitens für gute Laune bei den Wählern sorgen will. Ob das mit zwei Euro mehr beim Kindergeld oder zehn Euro mehr Kinderzuschlag gelingt, ist fraglich. Denn wenn der Grundfreibetrag steigt und das Kindergeld angepasst wird, ist das nichts anderes als die Einhaltung des Verfassung, die solche Anpassungen fordert. Und angesichts der Tatsache, dass Bund und Länder in diesem Jahr rund 18 Milliarden mehr einnehmen sollen als im letzten Jahr, sind 2,6 Milliarden Entlastung 2017 und weitere 3,7 im Jahr 2018 alles andere als üppig. Es ist ein Reförmchen, keine Reform. Hier hätten sich viele Steuerzahler mehr Mut gewünscht. Klein und vorsichtig ist auch der Schritt, den die Koalition in Richtung mehr Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen machen will. Er wird mit Sicherheit nur wenige Lohnungerechtigkeiten beseitigen, aber wenigstens die Sensibilität dafür steigern. Die Einigung trägt die Handschrift eines mühsamen Kompromisses. Die Union hat zu viel Bürokratie für Unternehmen vermieden, der Preis dafür ist die Stärkung der Tarifverträge und des Betriebsrats, welche die SPD gerne sieht. Das drängendste Thema Rente soll erst im November abschließend behandelt werden. Abschließend heißt in diesem Fall, zu schauen, was überhaupt noch so geht und was nicht. Rote Haltelinien fürs Rentenniveau à la Nahles werden wohl genau so wenig durchsetzbar sein wie längere Lebensarbeitszeiten, für welche sich die Union erwärmen kann. Ein drittes Jahr in der Mütterrente wird gewiss keine Realität. Aber eine Stärkung der Betriebsrenten, die angesichts des Schwächelns der Riesterrenten bitter nötig ist, wird kommen. Und vielleicht gelingt der Koalition auf ihren letzten Metern auch noch die Angleichung von Ost- und Westrenten. Sicher ist das allerdings nicht.
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