Gunter Thielen zum StiftungsTag 2017: "Ohne uns gäbe es noch mehr Bildungsverlierer"
Gütersloh (ots)
Deutschland ist im Kampf gegen Bildungsarmut und wachsende soziale Ungleichheit auf die Unterstützung von Stiftungen angewiesen. Schon heute lassen sich viele staatliche Bildungsaufgaben nur noch mit ihrer Hilfe bewältigen. Darauf hat Prof. Dr. Gunter Thielen, Vorstandsvorsitzender der Walter Blüchert Stiftung, anlässlich des morgen in Osnabrück beginnenden Deutschen StiftungsTages hingewiesen. Europas größter Stiftungskongress ist in diesem Jahr dem Thema Bildung gewidmet.
"Stiftungen haben sich zu wichtigen Eckpfeilern der Bildungsinfrastruktur in unserem Land entwickelt. Ohne ihre Mitwirkung würden noch mehr Menschen auf der Strecke bleiben", so Prof. Dr. Gunter Thielen, Vorstandsvorsitzender der Walter Blüchert Stiftung. Mit ihren Projekten setzten Stiftungen oft da an, wo staatliche Strukturen zwar vorhanden, aber nicht durchgängig seien. Indem sie bestehende Initiativen vernetzen, Projektpartner zusammenbringen und dadurch neue Ressourcen und Handlungsspielräume schafften, leisteten Stiftungen einen wichtigen Beitrag, diese Defizite zu kompensieren. "Im Englischen kennt man dafür den Begriff des Enablers", so Thielen weiter. "Er macht Lösungen möglich, ohne selbst die Lösung zu sein. Genau das ist die Rolle von Stiftungen in der Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts."
Angesichts eines trotz steigender Studentenzahlen rückläufigen Qualifikationsniveaus in Deutschland warnt Thielen vor wirtschaftlichem Abstieg und wachsender sozialer Spaltung durch Bildungsarmut. Der Zuzug vieler schlecht oder gar nicht ausgebildeter Menschen im Zuge der Flüchtlingskrise sowie die trotz historisch niedriger Arbeitslosenquote unverändert hohe Zahl Langzeitarbeitsloser zeige, dass neue Bildungs- und Qualifikationsideen überfällig seien. "Wir brauchen Konzepte, die uns helfen, gering oder gar nicht Qualifizierte, Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge dauerhaft in die Arbeitswelt zu integrieren", so Thielen. "Dazu müssen die Strukturen, in denen Bildung und berufsqualifizierende Abschlüsse erworben werden, in Zukunft viel flexibler und modularer werden". Sie müssten beispielsweise Raum für Praktika und Phasen der Erwerbstätigkeit lassen, ohne dass dadurch der Anspruch auf eine spätere formale Qualifikation erlischt.
Auch viele Deutsche sind von Bildungsarmut bedroht
Doch nicht nur Flüchtlinge und Migranten, auch viele junge Deutsche sind nach Thielens Worten akut von sozialem Abstieg und Perspektivlosigkeit infolge schlechter Bildung bedroht. Allein rund 270.000 Schulabgänger seien derzeit im so genannten Übergangssystem "geparkt", das nach dem allgemeinbildenden Schulabschluss die Ausbildungsreife fördern und den Weg in eine Berufsausbildung erleichtern soll. Tatsächlich landeten aber vor allem viele Hauptschüler ohne Abschluss in dieser Maßnahme. Sie haben keinen Ausbildungsplatz, unterliegen aber noch der Schulpflicht. Eine andere große Gruppe bilden Jugendliche aus weniger privilegierten Familien, die Probleme bei der Berufswahl und Ausbildungssuche haben. "Diese Jugendlichen haben keine Perspektive", so der Stiftungsvorstand. "Deutschland kann und darf es sich aber nicht leisten, sie auf der Strecke zu lassen."
Walter Blüchert Stiftung begleitet beim Übergang zwischen Schule und Beruf
Mit dem Programm "Was geht! Rein in die Zukunft" unterstützt die Walter Blüchert Stiftung Jugendliche genau an diesem Punkt. Es hilft Realschülern dabei, ihre Stärken zu erkennen und gemeinsam mit Trainern und Coaches Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln. Die Jugendlichen werden jeweils über zwei Jahre bis zum Schulabschluss und anschließend noch ein Jahr beim Start in die Ausbildung oder auf der weiterführenden Schule begleitet. Der dritte Jahrgang ist gerade mit fast 70 Schülern gestartet. Insgesamt werden in allen drei Jahrgängen derzeit mehr als 200 Jugendliche gefördert. In Dortmund wurde das "was geht!"-Programm gerade als Modellprojekt für Schüler der Berufsfachschulen Typ 2 mit insgesamt 8 Berufskollegs neu konzipiert. Dazu kooperiert die Walter Blüchert Stiftung mit der Stadt Dortmund, der Agentur für Arbeit und den Berufskollegs in städtischer Trägerschaft. 60 Jugendliche haben sich erfolgreich beworben.
"An diesem Beispiel wird deutlich: unsere Kernkompetenz liegt darin, Defizite und Brüche im System zu erkennen, konzeptionelle Lösungsansätze zu entwickeln und dann die richtigen Partner an Bord zu holen", sagt Thielen. "Wenn Stiftungen auf diese Weise neue Chancen schaffen und den Bildungsaufstieg von Benachteiligten fördern, müssen wir uns über ihre gesellschaftliche Bedeutung auch in Zukunft keine Sorgen machen."
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