Experte Prof. Dr. Einsele: Europa hinkt bei Krebsforschung hinterher
München (ots)
"Wir haben bei der Behandlung von Krebserkrankungen in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht", erzählt der renommierte Krebsspezialist Prof. Dr. med. Hermann Einsele vom Uniklinikum Würzburg im Pharma Fakten-Interview. Gleichzeitig spricht er eine Warnung aus: "Gerade bei den neuen Immuntherapien [...] hinkt Europa und auch Deutschland deutlich den Fortschritten in den USA und in China hinterher."
Über die letzten Jahre und Jahrzehnte konnten durch intensive Forschung enorme Fortschritte in der Krebstherapie erzielt werden. Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Prof. Dr. med. Hermann Einsele: Ein sehr gutes Beispiel, mit dem ich mich in den letzten Jahren intensiv beschäftigen konnte, sind Patienten mit Multiplen Myelom. Noch in den 90er Jahren galt eine Überlebenszeit von zwei bis drei Jahren als Standard für einen Patienten mit Multiplen Myelom. Inzwischen gehen wir davon aus, dass mit all den neuen Behandlungsoptionen das mittlere Überleben des älteren Patienten bei etwa sechs Jahren und bei jüngeren Patienten bei zehn Jahren liegt. Jetzt laufende Studien zielen bereits darauf hin, das Progressionsfreie Überleben in Richtung zehn Jahre zu verlängern! Außerdem gehen wir davon aus, dass jüngere transplantationsfähige Patienten, die eine komplette Remission nach Stammzelltransplantation erreichen, ein langfristiges krankheitsfreies Überleben erreichen können und dass dies tatsächlich bei etwa 20 Prozent der Patienten gelingt.
Große Hoffnungen liegen aktuell auf der CAR-T-Zelltherapie. Zwei Vertreter sind bereits gegen bestimmte Formen von Blutkrebs zugelassen. Wird CAR-T irgendwann auch bei anderen Tumoren zum Einsatz kommen können?
Einsele: Bereits jetzt ist abzusehen, dass bei Patienten mit Multiplen Myelom wahrscheinlich 2020 die CAR-T-Zellen für Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung zugelassen werden. Beim Myelom und auch bei den lymphatischen Neoplasien wird der Einsatz der CAR-T-Zellen zunehmend in früheren Therapielinien diskutiert und sehr wahrscheinlich auch zum Einsatz kommen. Entscheidend wird für die Zukunft der Tumortherapie sein, ob auch bei akuter myeloischer Leukämie - hier bin ich relativ optimistisch - und bei soliden Tumoren CAR-T-Zellen effektiv sein werden. Bei den soliden Tumoren gibt es interessante Ansätze und auch hier bin ich (noch gedämpft) optimistisch, dass die CAR-T-Zellen ebenfalls die Prognose von verschiedenen soliden Tumoren verbessern werden.
Das Bundesforschungsministerium hat im Januar gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium und weiteren Partnern die "Nationale Dekade gegen Krebs" gestartet. Wird in Deutschland genug getan, damit Forschungsergebnisse möglichst schnell bei den Patienten - in Form von innovativen Therapien - ankommen?
Einsele: Ich denke, die "Nationale Dekade gegen Krebs" ist sehr, sehr wichtig! In den USA ist die Krebskrankheit bereits die häufigste Todesursache und wird dies in Europa auch sehr rasch werden! Umso mehr müssen wir tun, um die Prophylaxe, Frühdiagnostik und frühtherapeutischen Möglichkeiten für Krebspatienten zu verbessern. Ich hoffe, dass die "Nationale Dekade gegen Krebs" ausreichend finanziert werden wird, um Forschungsergebnisse voran zu bringen und diese möglichst schnell beim Patienten ankommen zu lassen. Gerade bei den neuen Immuntherapien wie bispezifischen Antikörpern und vor allem CAR-T-Zellen hinkt Europa und auch Deutschland deutlich den Fortschritten in den USA und in China hinterher. Es sind weniger als zehn Prozent der Studien mit CAR-T-Zellen in Deutschland und Europa verfügbar. Dies muss sich ändern, damit nicht, was jetzt bereits passiert, deutsche Patienten zur Behandlung für teures Geld in die USA oder nach China gehen. Auch die Entwicklungsarbeiten zu den neuen Immuntherapeutika müssen besser gefördert werden, damit wir nicht in der Zukunft sehr teure im Ausland präklinisch und klinisch entwickelte z.B. CAR-T-Zellen aus China und USA einkaufen müssen. Hier sollten wir den Schulterschluss zwischen der Akademia und den innovativen Biotechfirmen fördern, damit die weitere Entwicklung in diesem neuen, sehr zukunftsträchtigen und wirtschaftlich interessanten Forschungs- und Therapiefeld auch von Europa und vor allem von Deutschland aus gestaltet werden kann.
Immer wieder kursieren Behauptungen, nach denen Krebs irgendwann heilbar ist. Was halten Sie davon?
Einsele: Wir haben bei der Behandlung von Krebserkrankungen in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. So sind eine Reihe von Krebserkrankungen inzwischen heilbar. Hier sind vor allem die operativen, strahlentherapeutischen Verfahren bei lokalisierten Tumorerkrankungen extrem erfolgreich. Aber auch die Chemotherapie hat dazu beigetragen, bei fortgeschrittenen Tumoren sehr gute Ansprechraten und zum Teil auch Heilungen zu bewirken. Die zielgerichtete Therapie hat bei einzelnen Tumorerkrankungen einen großen Erfolg gezeigt, ist aber mit dem Problem konfrontiert, dass die Tumore sehr häufig Resistenzmechanismen gegen gezielte Therapien entwickeln, sodass letztendlich nur bei der chronisch myeloischen Leukämie ganz langfristige Therapieerfolge erreicht werden konnten. Die größten Fortschritte werden derzeit mit der Immuntherapie erreicht. So sind die Checkpointblocker bei einer Fülle von Tumorerkrankungen und mit erstaunlichen Erfolgsraten und langfristigen Remissionen im Einsatz. Darüber hinaus kommen die bispezifischen Antikörper und CAR-T-Zellen - vor allem CAR-T-Zellen - jetzt zunehmend in den Routine-Einsatz in der Klinik! Hier dürfen wir noch deutliche Fortschritte erwarten. Allerdings hat die Vergangenheit gezeigt, dass Tumore auch gegen immer wieder neue Therapien Resistenzen entwickeln können, sodass ich mit einer Aussage zur Heilbarkeit aller Tumorerkrankungen sehr zurückhaltend bin. Ich gehe aber davon aus, dass die Entwicklungen - hoffentlich unterstützt durch die BMBF-Initiative "Nationale Dekade gegen Krebs" - zu einer erheblichen Verbesserung der Vorsorge, der Früherkennung und der Behandlung von vielen Tumorerkrankungen und auch zur Heilung von verschiedenen derzeit noch nicht heilbaren Formen einer Krebserkrankung führen werden.
Das Interview finden Sie auch auf Pharma Fakten: http://ots.de/TlH56O.
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