Bürgerschaftswahl Bremen: Wahlprogramme sind auch 2023 oft unverständlich
PRESSEMITTEILUNG DER UNIVERSITÄT HOHENHEIM
Bürgerschaftswahl in Bremen:
Auch 2023 sind Wahlprogramme oft unverständlich
Hohenheimer Verständlichkeitsindex: Kommunikationswissenschaftler:innen der Universität Hohenheim analysieren Wahlprogramme auf formale Verständlichkeit.
Bandwurmsätze mit bis zu 81 Wörtern (CDU), Wortungetüme wie „Informationssicherheitsmanagementsysteme“ (FDP) und „Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz“ (Linke) oder Fachbegriffe wie „Care Leaver“ (Grüne) und „Microlauncher“ (FDP): Die Wahlprogramme der Parteien zur Bürgerschaftswahl in Bremen sind für viele Laien schwer zu verstehen. Im Durchschnitt hat sich die Verständlichkeit gegenüber der letzten Wahl in Bremen 2019 nicht verbessert. Das ist das Ergebnis einer Analyse von Kommunikationswissenschaftler:innen der Universität Hohenheim in Stuttgart. Die Studie im Detail unter https://bit.ly/41Z43k0
„Parteien sollten ihre Positionen klar und verständlich darstellen, damit die Wählerinnen und Wähler eine begründete Wahlentscheidung treffen können. Dazu dienen die Wahlprogramme“, betont der Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim. Er hat zusammen mit Dr. Claudia Thoms die Wahlprogramme zur Bürgerschaftswahl in Bremen 2023 untersucht.
Wahlprogramme gleich unverständlich wie bei der Bürgerschaftswahl 2019
Mit Hilfe einer Analyse-Software fahnden die Wissenschaftler unter anderem nach überlangen Sätzen, Fachbegriffen und zusammengesetzten Wörtern. Anhand solcher Merkmale bilden sie den „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“ (HIX). Er reicht von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich).
Im Durchschnitt ist die Verständlichkeit der Programme zur Bürgerschaftswahl in Bremen mit 7,3 Punkten so niedrig wie bei der letzten Bürgerschaftswahl im Jahr 2019 (ebenfalls 7,3 Punkte). Im Durchschnitt liegt Bremen bei der formalen Verständlichkeit der Programme auf Platz 11 der 16 Bundesländer. Für Prof. Dr. Brettschneider sind diese Werte enttäuschend: „Alle Parteien haben sich in den letzten Jahren Transparenz und Bürgernähe auf die Fahne geschrieben, doch mit derartigen Wahlprogrammen verpassen sie eine kommunikative Chance. Sie schließen einen erheblichen Teil der Wählerinnen und Wähler aus.“
SPD mit der unverständlichsten Sprache, Grüne und FDP am verständlichsten
Die formal verständlichsten Wahlprogramme in Bremen liefern die Grünen und die FDP mit jeweils 8,0 Punkten auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex. Die Grünen können damit ihre Position aus dem Jahr 2019 halten. Damals belegten sie mit 9,5 Punkten ebenfalls den ersten Platz. Die SPD verwendet hingegen die unverständlichste Sprache. Sie erreicht auf dem HIX lediglich 5,8 Punkte (2019 waren es 6,0 Punkte). Das ist nicht wesentlich verständlicher als eine politikwissenschaftliche Doktorarbeit. Die CDU hat sich im Vergleich zu 2019 am stärksten verbessert – von 4,7 auf 7,5 Punkte.
Verständlichkeitshürden schließen Wählerinnen und Wähler aus
„Ambulantisierung“ (CDU), „Pre-Gates“ (CDU), „Signature-Pads“ (CDU), „krisenresilient“ (Grüne), „Care Leaver“ (Grüne), „Microlauncher“ (FDP), „300MW-Elektrolyseur“ (FDP), „intersektional“ (SPD), „Encrochat- und SkyECC-Daten“ (SPD), „Engagement-Hubs“ (Linke) oder „damages and losses“ (Linke): Die Programme der Parteien enthalten zahlreiche Fremd- und Fachwörter. Vor allem für Leser:innen ohne politisches Fachwissen stellen diese eine große Verständlichkeitshürde dar.
Einen ähnlichen Effekt hätten Wortzusammensetzungen oder Nominalisierungen, so Dr. Claudia Thoms, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Kommunikationstheorie. Einfache Begriffe würden so zu Wort-Ungetümen, wie z. B. „Allgemeines-Gleichstellungs-Gesetz-Beschwerdestellen“ (Grüne), „Informationssicherheitsmanagementsysteme“ (FDP), „Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz“ (SPD) oder „Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz“ (Linke).
„Auch zu lange Sätze erschweren das Verständnis. Das gilt besonders für Wenig-Leser:innen. Sätze sollten möglichst nur jeweils eine Information vermitteln“, erklärt Dr. Thoms. „Der längste Satz findet sich im Programm der CDU mit 81 Wörtern. Aber auch bei allen anderen Parteien tauchen überlange Sätze auf. Sätze mit 30 und 40 Wörtern sind keine Seltenheit.“
Prof. Dr. Brettschneider fügt hinzu: „Die von uns gemessene formale Verständlichkeit ist natürlich nicht das einzige Kriterium, von dem die Güte eines Wahlprogramms abhängt. Deutlich wichtiger ist der Inhalt. Unfug wird nicht dadurch richtig, dass er formal verständlich formuliert ist. Und unverständliche Formulierungen bedeuten nicht, dass der Inhalt falsch ist. Formale Unverständlichkeit stellt aber eine Hürde für das Verständnis der Inhalte dar.“
HINTERGRUND: Hohenheimer Verständlichkeits-Analysen
Das Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft, insbesondere Kommunikationstheorie, an der Universität Hohenheim untersucht seit 16 Jahren die formale Verständlichkeit zahlreicher Texte: Wahlprogramme, Medienberichterstattung, Kunden-Kommunikation von Unternehmen, Verwaltungs- und Regierungskommunikation, Vorstandsreden von DAX-Unternehmen.
Möglich werden diese Analysen durch die Verständlichkeits-Software „TextLab“. Die Software wurde von der H&H CommunicationLab GmbH in Ulm und von der Universität Hohenheim entwickelt. Sie berechnet verschiedene Lesbarkeitsformeln sowie Textfaktoren, die für die Verständlichkeit relevant sind (z. B. Satzlängen, Wortlängen, Schachtelsätze). Daraus ergibt sich der „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“. Er bildet die Verständlichkeit von Texten auf einer Skala von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich) ab. Zum Vergleich: Doktorarbeiten in Politikwissenschaft haben eine durchschnittliche Verständlichkeit von 4,3 Punkten. Hörfunk-Nachrichten kommen im Schnitt auf 16,4 Punkte, Politik-Beiträge überregionaler Zeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Welt oder der Süddeutschen Zeitung auf Werte zwischen 11 und 14.
Weitere Informationen
Kontakt für Medien
Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Institut für Kommunikationswissenschaft
T 0711/459-24030, E frank.brettschneider@uni-hohenheim.de
Dr. Claudia Thoms, Universität Hohenheim, Institut für Kommunikationswissenschaft
T 0711/459-24030, E claudia.thoms@uni-hohenheim.de
Weitere Pressemitteilungen der Universität Hohenheim
Pressemitteilungen: www.uni-hohenheim.de/presse
Universität Hohenheim Pressestelle 70593 Stuttgart Tel.: 0711 459-22003 Fax: 0711 459-23289