Gut verpackt zum zellulären Recyclinghof, Pi Nr. 64/2024
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Gut verpackt zum zellulären Recyclinghof
Wie bauen Pflanzen beschädigte Zellbestandteile zur Wiederverwertung ab? Konstanzer Forschende entschlüsseln einen wichtigen molekularen Mechanismus des zellulären Recyclings.
Anders als viele Tiere, können Pflanzen bei lebensfeindlichen Bedingungen nicht einfach ihren Standort wechseln. Sie sind also noch stärker auf effektive Möglichkeiten angewiesen, den negativen Folgen von schädlichen Umwelteinflüssen – sogenannter Umweltstress – entgegenzuwirken. Dazu gehört, dass durch Umweltstress beschädigte Zellbestandteile und Proteine abgebaut und ihre wertvollen Bestandteile recycelt werden.
Dieser Vorgang findet bei Pflanzen, Tieren und Pilzen in speziellen Verdauungsorganellen statt. Zuvor müssen die abzubauenden Materialien jedoch gut verpackt zu den Verdauungsorganellen transportiert werden. Ein interdisziplinäres Team aus Biolog*innen und Chemiker*innen der Universität Konstanz hat nun den molekularen Mechanismus entschlüsselt, der diesem Verpackungsvorgang zugrunde liegt. Die Ergebnisse wurden gerade in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Unter Stress besonders wichtig
Ein anschauliches Beispiel für Umweltstress, dem Pflanzen ausgesetzt sein können, sind stark salzhaltige Böden. Es wird geschätzt, dass bereits heute etwa 20 Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Flächen durch Bodenversalzung für den Ackerbau unbrauchbar geworden sind. Wächst eine Pflanze unter derartigen Bedingungen, kann das in den Pflanzenzellen zur Schädigung von Zellbestandteilen oder zu der Anhäufung von Giftstoffen führen.
Die Verdauung dieser Bestandteile und Stoffe erfüllt für die Pflanze einen doppelten Nutzen: Das schädliche Material wird entfernt und wertvolle molekulare Ressourcen können zurückgewonnen werden. „Wenn eine Pflanze unter Stress gerät, ist es ganz besonders wichtig, dass das zelluläre Recyclingsystem gut funktioniert. Die Pflanze muss dann viele neue Proteine und Moleküle bilden. Das Recycling liefert dafür wichtige Rohstoffe“, erklärt die Biochemikerin Erika Isono, deren Arbeitsgruppe am Fachbereich Biologie der Universität Konstanz federführend an der aktuellen Studie beteiligt war.
Die richtige Maschine am richtigen Ort
Der Recyclingvorgang beginnt damit, dass abzubauendes Material innerhalb der Zelle von einem Transportbläschen – ein sogenanntes Autophagosom – umhüllt wird, das aus einer doppelten Membran besteht. In diesen Bläschen wird das Material später zu den Verdauungsorganellen transportiert. Doch wie verschließen sich diese Transportbläschen vor dem Transport? Bekannt ist, dass eine molekulare Maschine mit mehreren Untereinheiten an dieser Versiegelung beteiligt ist: die ESCRT-Maschine. Dieser fadenförmige Proteinkomplex bindet an Membranen, wie die der Autophagosomen. Geschieht dies im Bereich einer Öffnung, wird diese zusammengeschnürt und schließt sich.
Wie die ESCRT-Maschine jedoch an die Autophagosomen in Pflanzenzellen gelangt, war bisher nicht gut bekannt. „Die ESCRT-Maschine arbeitet an vielen verschiedenen Organellen und Membranen auf ganz ähnliche Weise. Uns hat daher interessiert, wie sie bei Bedarf gezielt zu den Autophagosomen rekrutiert wird“, sagt Niccoló Mosesso, Erstautor der Studie und Doktorand im Labor von Erika Isono. Den Konstanzer Forschenden gelang es, den entscheidenden Protagonisten der ESCRT-abhängigen Membranschließung zu identifizierten und zu charakterisierten: das Protein CaLB1.
Mehr als ein Provisorium
„Das Protein, das wir identifiziert haben, interagiert bei Salzstress mit Bestandteilen der Autophagosomen-Membran. Es reichert sich dort an und bildet große Protein-Strukturen, die sich wahrscheinlich wie ein Korken auf die Öffnung der Transportbläschen setzen und diese provisorisch verschließen“, erklärt Mosesso. Gleichzeitig führen die CaLB1-Kondensate jedoch auch dazu, dass sich die ESCRT-Maschine im Öffnungsbereich des Autophagosoms anlagert und dieses endgültig versiegelt – so die Vermutung der Forschenden.
Dass die Aufklärung dieses Mechanismus gelang, ist das Ergebnis enger, interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Biolog*innen und Chemiker*innen, die an der Universität Konstanz eine lange Tradition hat. Als Ergebnisse aus dem Bereich der Grundlagenforschung bilden die neuen Erkenntnisse eine wichtige Basis für mögliche spätere Anwendungen. „Die genaue molekulare Kenntnis darüber, wie Pflanzen auf Salzstress reagieren, könnte auf lange Sicht dazu beitragen, die Resistenz von Pflanzen zu erhöhen, um dem zunehmenden Problem der Bodenversalzung etwas entgegenzusetzen“, schließt Isono.
Faktenübersicht:
- Originalpublikation: N. Mosesso, N. Savant Lerner, T. Bläske et al. (2024) Arabidopsis CaLB1 undergoes phase separation with the ESCRT protein ALIX and modulates autophagosome maturation. Nature Communications; DOI: 10.1038/s41467-024-49485-6
- Konstanzer Forschende entschlüsseln molekularen Mechanismus der Reifung von Autophagosomen bei Pflanzen unter Salzstress
- Förderung: Open-Access-Förderung durch Projekt DEAL
Hinweis an die Redaktionen:
Fotos können im Folgenden heruntergeladen werden:
Link: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2024/gut_verpackt_02.JPG Bildunterschrift: Arabidopsis-Pflanzen im Labor
Bild: © Universität Konstanz, Inka Reiter
Link: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2024/gut_verpackt_04.JPG Bildunterschrift: Arabidopsis-Keimlinge in steriler Kultur auf Petrischalen
Bild: © Universität Konstanz, Inka Reiter
Link: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2024/gut_verpackt_03.JPG Bildunterschrift: Niccolò Mosesso, Erstautor, und Niharika Savant Lerner, Zweitautorin der aktuellen Studie
Bild: © Universität Konstanz, Inka Reiter
Kontakt: Universität Konstanz Kommunikation und Marketing E-Mail: kum@uni-konstanz.de
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