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PRESSEMITTEILUNG: Ambivalente Online-Beteiligung in der Energiewende: Bevölkerung interessiert, Projektverantwortliche skeptisch

PRESSEMITTEILUNG

Ambivalente Online-Beteiligung in der Energiewende: Bevölkerung interessiert, Projektverantwortliche skeptisch

Können digitale Beteiligungsformate dazu beitragen, die Akzeptanz und demokratische Legitimität von Infrastruktur-Vorhaben zu erhöhen? Erstmals wurde die Online-Beteiligung an der Energiewende für eine Studie vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) analysiert. Ergebnis: Virtuelle Partizipationsformate, die sowohl den Informationsansprüchen als auch dem Wunsch nach kreativem Mitwirken der Bürgerinnen und Bürger gerecht werden, können eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der Energiewende in Deutschland spielen.

In den vergangenen Jahren sind diverse Formen von Online-Beteiligung aufgekommen, die Experimente mit visuellen und interaktiven Technologien ermöglicht haben. Bislang fehlen jedoch Untersuchungen, die Online-Partizipationsformate im Kontext der deutschen Energiewende bewerten. Die Studie „E-participation in energy transition: what does it mean?“ von Jörg Radtke publiziert im Journal Technological Forecasting & Social Change schließt diese Lücke: Es fließen Interviews mit Interessensvertreterinnen und -vertretern eines Windparkprojekts in Nordrhein-Westfalen ein, die ergänzt werden von Ergebnissen einer Online-Umfrage zur Einstellung gegenüber Windkraft.

„Die meisten Bürgerinnen und Bürger stehen kreativen und visualisierungsbasierten Online-Tools offen gegenüber, weil damit Planungsprozesse transparenter und greifbarer werden. Zugleich schätzen sie, dass sie hierbei frühzeitig in Entscheidungsprozesse einbezogen werden“, sagt Wissenschaftler Radtke vom RIFS. Dass viele bereit wären, sich stärker an Planungsprozessen zu beteiligen, wenn die Online-Beteiligung entsprechend attraktiv ausgestaltet wäre, zeige die Untersuchung auch. Dies erfordere jedoch klare und vertrauenswürdige Kommunikationsstrategien sowie die Bereitschaft, die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger in den Planungsprozess tatsächlich spürbar einzubeziehen.

Die meisten Angebote der Online-Beteiligung sind aber für das Gros der Bürgerinnen und Bürger schlicht uninteressant. Studienautor Radtke unterstreicht daher die Notwendigkeit, Mobilisierungsstrategien zu entwickeln, um die Menschen für Online-Partizipationsformate zu begeistern und so die potenziellen ‚unentdeckten Schätze‘ der Online-Beteiligung für die Akzeptanz und demokratische Legitimation der Energiewende zu heben.

Bedenken bei Behörden bezüglich Sicherheit

Von Seiten der institutionellen Akteure gebe es allerdings Bedenken hinsichtlich Effizienz und Sicherheit von Online-Beteiligungsverfahren – es bestünden Vorbehalte hinsichtlich der Risiken einer „ausschweifenden“ Partizipation der Bürgerinnen und Bürger. Es werde befürchtet, dass die Prozesse schwerer kontrollierbar seien und möglicherweise zudem bestehende Konflikte noch verschärfen. Bestes Beispiel: Im Internet kursieren zahlreiche Falschmeldungen und manipulierte Bilder etwa zur Windkraft, die im Online-Beteiligungsraum unkontrolliert weitere Verbreitung finden könnten. Häufig sehen Behörden eine Online-Beteiligung daher lediglich als informelles Mittel zur Information, ohne dass dies mit echter Entscheidungsgewalt einhergeht. „Allerdings wird diese Form der Alibi-Beteiligung von den Bürgerinnen und Bürgern äußerst kritisch bewertet“, erklärt Radtke die Ergebnisse der Analyse. Er empfiehlt beim Einsatz digitaler Plattformen eine genaue Prüfung von Inhalten und ein effektives Moderationsmanagement, um eine konstruktive Diskussion zu ermöglichen. Die Studienergebnisse zeigen darüber hinaus, dass Online-Beteiligung durch ihre Flexibilität und niedrigere Zugangshürden eine größere Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern potentiell erreichen kann als konventionelle Beteiligungsformate – auch wenn dies noch Zukunftsmusik ist. Insbesondere Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder begrenzten Möglichkeiten zur Teilnahme an Präsenzveranstaltungen könnten so aktiv am Diskurs teilnehmen und ihre Stimme einbringen.

Virtuelle Darstellungsformen nutzen

Ein weiterer, zentraler Aspekt der Studie ist die Analyse der verwendeten Online-Technologien: Digitale Werkzeuge wie 3D-Visualisierungen oder erweiterte Realitäten (Augmented und Virtual Reality) ermöglichen einfache und anschauliche Darstellungen von geplanten Projekten. Dies könne der Bürgerschaft ein sehr plastisches Bild der Planungen vermitteln, weshalb sie wiederum die Planungen besser bewerten, Vorschläge gezielt unterbreiten und konkrete Hinweise geben kann. Solche Tools eröffneten daher die Chance, sich ein realistisches Bild von Projektauswirkungen zu machen, was in konventionellen Beteiligungsformaten weniger gegeben ist – wenn etwa bei Dialogveranstaltungen und Bürgerversammlungen über ein Projekt gesprochen wird, ohne zu wissen wie es sich konkret in der Umwelt darstellt und auswirkt.

So können beispielsweise Windkraftanlagen in virtuellen Umgebungen sehr realitätsgetreu dargestellt werden, um den Anwohnenden einen konkreten Eindruck von visuellen und akustischen Auswirkungen etwa vom „eigenen Wohnzimmerfenster“ aus zu vermitteln. Diese Art der Darstellung kann helfen, Missverständnisse abzubauen und bietet gleichzeitig Raum für kreativen Input von Bürgerseite, was die Planung selbst bereichern kann. Künftig kann der Einsatz von Künstlichen Intelligenzen diesen Zugang noch sehr viel stärker befördern, weil hierdurch die noch deutlich sichtbare Kluft zwischen sehr anspruchsvollen technischen Anwendungen und niedrigschwelligem Beteiligungsinteresse der Bevölkerung merklich reduziert werden kann, sagt Wissenschaftler Radtke. Virtuelle Flüge durch geplante Windparks und virtuelle Assistenten, die Führungen geben und Fragen beantworten, werden vermutlich einmal Realität werden.

Letztlich können die Vorteile mögliche Nachteile digitaler Tools aufwiegen: Durch den gezielten Einsatz von 3D-, AR-, VR- und KI-Technologien, durch moderierte Diskussionsforen und neue Mitbestimmungsoptionen – wie im Falle einer Entscheidung über die Verwendung finanzieller Abgaben vor Ort – könne die Energiewende potenziell beschleunigt und gleichzeitig stärker demokratisch legitimiert sowie Akzeptanz generiert werden, so Radtke vom RIFS. „Die vorliegende Analyse bietet nicht nur aufschlussreiche Erkenntnisse über die gegenwärtigen Einstellungen zur Online-Beteiligung in der Energiewende, sondern daneben auch konkrete Anknüpfungspunkte für die künftige Gestaltung digitaler Beteiligungsprozesse in der Energiepolitik.“

Publikation:

Jörg Radtke: E-participation in energy transitions: What does it mean? Chances and challenges within Germany's Energiewende, Technological Forecasting and Social Change Volume 210, January 2025. DOI: https://doi.org/10.1016/j.techfore.2024.123839

Wissenschaftlicher Kontakt:

Jörg Radtke

Telefon: +49 331 6264-22426

E-Mail: joerg.radtke@rifs-potsdam.de

Für weitere Rückfragen:

Sabine Letz

Pressereferentin

Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam (RIFS)

Telefon: +49 331 6264 22479

Mobil: +49 151 120 190 35

E-Mail: sabine.letz@rifs-potsdam.de

Am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) werden Entwicklungspfade für die globale Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft erforscht, aufgezeigt und unterstützt. Es ist seit 2023 ein Teil der Helmholtz-Gemeinschaft, eingebunden ins Deutsche Geoforschungszentrum GFZ Potsdam. Der Forschungsansatz ist transdisziplinär, transformativ und ko-kreativ. Gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, politischen Institutionen, kommunalen Verwaltungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft werden von allen getragene Lösungen entwickelt. Zentrale Forschungsthemen sind unter anderem die Energiewende, der Klimawandel und soziotechnische Wandel, aber auch Fragen der nachhaltigen Governance und Partizipation. Ein starkes nationales und internationales Netzwerk verbunden mit einem Fellow-Programm unterstützen das Institut.

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