Welttag des Buches 2018
Thalia CEO Michael Busch: "Schulen sollten dem Lesen mehr Raum geben."
Allein Thalia gibt in diesem Jahr mehr als 125.000 Welttagsbücher aus
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- Thalia im Gespräch mit Diplom-Psychologe, Autor und Medienexperte Stephan Grünewald über die Bedeutung des Lesens für die Entwicklung
"Für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind Bücher von unschätzbaren Wert: Kinder tauchen in Geschichten ein, lernen komplexe Zusammenhänge zu verstehen, setzen sich mit anderen Lebenswelten auseinander, lernen andere Meinungen kennen, profitieren von Problemlösungen und bleiben bei längeren Geschichten bis zum Ende gespannt und konzentriert dabei. Ich sehe es daher als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dass Bücher im Leben von Kindern und Jugendlichen präsent sind. Vor allem Schulen können viel zu einem positiven Leseerlebnis beitragen. Als Lern- und Leseort können sie den Spaß an Büchern vermitteln, das Hobby "lesen" fördern, den Austausch über Lieblingsbücher ermöglichen und - unabhängig vom Lehrplan - dem Lesen mehr Raum geben", sagt Thalia CEO Michael Busch, anlässlich des Welttag des Buches 2018
Thalia feiert das Lesen zum Welttag des Buches
Deutschlandweit beteiligen sich alle Thalia Buchhandlungen an der Buch-Gutschein-Aktion "Ich schenk dir eine Geschichte". Schülerinnen und Schülern der 4. und 5. Klassen können sich in den Thalia Buchhandlungen kostenlos ein Exemplar des Welttagsbuches abholen, insgesamt werden über 125.000 Bücher ausgegeben. Unter allen teilnehmenden Buchhandlungen bundesweit hält die Thalia Buchhandlung im Forum Köpenick in diesem Jahr den Rekord: 107 Schulklassen mit insgesamt 2617 Schülerinnen und Schülern haben sich angemeldet, um das Welttagsbuch abzuholen.
Mit der Aktion möchte Thalia dazu beitragen, Kindern die Freude am Lesen zu vermitteln und sie für spannende Geschichten zu begeistern. Darüber hinaus machen die Thalia Buchhandlungen vor Ort individuelle Aktionen: Bücherquiz, Schnitzeljagd durch die Buchhandlung, Gestaltung von Büchertischen, Vorlesewettbewerbe, Schüler stellen ihr Lieblingsbuch vor.
Thalia im Gespräch mit: Stephan Grünewald, rheingold Institut
Zum Welttag des Buches hat Thalia mit Stephan Grünewald über die Bedeutung des Lesens für die Entwicklung gesprochen. Stephan Grünewald ist Diplom-Psychologe, Autor, Medienexperte und Mitbegründer des rheingold Instituts für qualitative Markt- und Medienanalysen. Bei seiner Arbeit setzt er auf tiefenpsychologische Interviews zu aktuellen Fragen aus Markt, Medien und Gesellschaft.
Herr Grünewald, welchen Einfluss hat das Lesen auf uns und unsere Entwicklung?
SG: Das Lesen ist eine Form von "tätiger Entwicklungshilfe", es hilft den Menschen mit sich selbst und ihrem komplexen Alltag zu Recht zu kommen. Das Lesen erfüllt dabei gleich mehrere Funktionen.
Eine dieser Funktionen ist die Schaffung von familiärer Vertrautheit. Wenn ich einen Roman lese, gehe ich mit den Figuren eine Wahlverwandtschaft ein und sie werden sozusagen zu seelischen Geschwistern. Das meint nicht die Identifikation mit den Romanfiguren, sondern mit deren Lebenswelten und Problemen. Indem ich bei der Lektüre fremden Schicksalswegen folge, sie sogar durchlebe, gelange ich zu Lösungen für eigene Probleme und kann mit Schicksalsschlägen, die mir im Leben irgendwann widerfahren anders umgehen.
SG: Das Lesen übernimmt zudem eine Kompensationsleistung. Das Eintauchen in Geschichten erlaubt es mir, fesselnde Gedankenspiele zuzulassen, Ausbrüche und Entgrenzungen auszuleben, die ich mir im braven Alltag nicht gestatte. Damit lässt sich zum Beispiel der Erfolg der Reihe "Fifty Shades of Grey" begründen.
Wie verändert sich diese Entwicklungsleistung, die das Lesen für den Menschen hat, im Laufe eines Lebens?
SG: Es gibt verschiedene Phasen, die wir durchlaufen. Jugendliche im Alter von 12 bis 15 Jahren interessieren sich oft für Heldengeschichten. In der Phase der Pubertät wollen sie selbst zu Übermenschen reifen und brauchen Lesestoffe, die ihnen zeigen, wie sie über sich selbst hinauswachsen können.
Im Alter von 15 bis 18 Jahren verändert sich die Lebenswelt und die zu bewältigenden Probleme nehmen andere Dimensionen an. Probleme in der Schule, Streitereien mit Eltern und Freunden, die erste unglückliche Liebe - das alles sind Brüche in der Realität. Bücher werden in dieser Phase zum Alltagsbegleiter, stiften Orientierung und zeigen dem Leser, womit er in der Welt rechnen muss. Wie kann ich mich passend machen?', ,Wie lange ist Reserviertheit angemessen - wann darf ich mich jemandem gegenüber öffnen?', ,Was ziehe ich in welcher Situation an?'. Für diese Fragen bietet das Lesen eine praktische Lebenshilfe,
Heute übernehmen jedoch zunehmend neue Medien, wie Youtube Tutorials, Serien, Instagram und Snapchat diese Funktionen.
Heißt das in der Konsequenz, dass das Buch heute nicht mehr benötigt wird?
SG: Das Interessante ist, dass die Entwicklungssehnsüchte der Menschen sich nicht verändern. Wir möchten Wahlverwandtschaften eingehen und am Leben anderer Teil haben. Etwas, was früher mehr oder minder ausschließlich ein Buch leisten konnte. Heute bauen Jugendliche Wahlverwandtschaften zu Youtubern, Bloggern und Instagramern auf. Indem sie ihnen in der digitalen Welt folgen, können sie an ihrem Alltag teilhaben. All das kann ich bequem konsumieren.
Es gibt aber etwas, was keines dieser Medien substituieren kann: Bücher stiften nicht nur einen größeren Zusammenhang, in den ich eintauchen kann. Bücher motivieren den Menschen auch, selbst etwas zu durchleben. Am Ende steht das mit Stolz verbundene Gefühl, etwas geschafft zu haben. Das ist eine viel tiefere und reifere Erfahrung, als der Konsum von Serien, Youtube-Videos oder Stories auf Instagram oder Snapchat.
Beim Lesen folgt jeder Mensch seinem eigenen Duktus: wir lesen in unserem eigenen Tempo, wir kämpfen uns durch die Seiten und jedes einzelne Wort. Ein Buch, eine Geschichte, wird damit zu einer Etappe im eigenen Leben. Das erklärt auch das Bedürfnis vieler Menschen, das Buch haptisch zu besitzen. Wir möchten unseren Erfolg dingfest machen und als Trophäe in unser Bücherregal stellen. Harry Potter ist mit seinen sieben meist fast 1000 Seiten starken Bänden ein besonderes Beispiel dafür.
Das Beispiel "Harry Potter" zeigt, dass das Lesen auch ein großartiges kollektives Erlebnis sein kann. Was muss da zusammenkommen? Gibt es gesellschaftliche Stimmungen, die den Erfolg von Büchern beflügeln können?
SG: Harry Potter ist ein Phänomen unserer Zeit. Die Geschichte um den Jungen Harry stellt für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen eine Entwicklungshilfe dar. Sie stimuliert den Selbstfindungsprozess der Menschen: Was ist mein eigener Sinn in dieser Welt? Was ist meine Berufung?
Gleichzeitig findet sich bei Harry Potter eine psychologische Pointe: Wie kein anderes Buch sensibilisiert Harry Potter die Leser dafür, dass es hinter der Wirklichkeit noch eine andere Welt gibt, die magisch und träumerisch ist. Eine Welt, die die Menschen von der nüchternen Zweckrationalität des Alltags erlöst. Aber selbst die Zauberwelt ist ein schwer zu erlernendes Handwerk, anstrengend, voll von langwierigen und quälenden Prozessen und Ereignissen, denen ich mich stellen muss.
Harry Potter ist zu Beginn der Smartphone-Ära erschienen, in der wir mit dem "magischen Finger" spielerisch einfach Dateien verschieben und auf Knopfdruck Emails verschicken können. So wie Harry die Zauberei mühsam erlernen und dabei andauernd gegen Widerstände ankämpfen musste, müssen auch wir uns in einer zunehmend digitalisierten Welt alles analog erarbeiten. Zauberei ist möglich, aber nichts geht allein mithilfe von Zauberei.
Was braucht das Lesen um für die Menschen wieder up-to-date und "sexy" zu sein?
SG: Die Frage, die sich stellt ist doch: Wie gelingt es, im Alltag wieder Räume für das Lesen zu schaffen? Schaut man sich die aktuellen Entwicklungen an, täte es Verlagen sicher gut, sich Influencer-Strategien zu bedienen. Das Lesen muss heute dort stattfinden, wo die jungen Leute sind. Wenn Verlage es also zulassen, dass Youtuber ihre Bücher in die Kamera halten, dann wäre das ein direkter Weg zu den Lesern.
Was halten Sie von dem Vorschlag "freies Lesen" in der Schule einzuführen?
SG: Ich halte es für sinnvoll, in der Schule Leseräume zu eröffnen - fachfrei, zweckfrei, aber nicht zwecklos. Denn beim Lesen ist es ist wie in der Liebe: Sich Verlieben und über die Liebe reflektieren, das sind zwei völlig verschiedene Dinge. In dem Moment, in dem ich anfange, über die Liebe zu reflektieren, ist der Zauber des Verliebtseins verflogen. Genauso verhält es sich mit dem Lesen. Wenn ich in der Schule nur über Autoren und deren Intention diskutiere, dann bleibt der Spaß am Lesen auf der Strecke.
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