EnBW Energie Baden-Württemberg AG
Energie Baden-Württemberg legt Auswertung über Notkühlsysteme ihrer Kernkraftwerke offen
Stuttgart (ots)
Vorstandsvorsitzender Gerhard Goll: Über gemeldeten Sachverhalt hinaus gibt es nichts Neues
Die vom Vorstandsvorsitzenden der EnBW, Gerhard Goll, bei den Kernkraftwerken des Konzerns an den Standorten Philippsburg, Neckarwestheim und Obrigheim angeordnete Auswertung liegt vor. Sie detailliert die bereits veröffentlichten Vorkommnisse, ohne jedoch etwas grundsätzlich Neues zu ergeben. Dies gab Gerhard Goll am Dienstag (30. Oktober 2001) in Stuttgart bekannt.
Bei den Auswertungen wurden Füllstände und Borkonzentrationen von Notkühlsystemen so weit wie möglich zurückverfolgt, teils bis zur Aufnahme des kommerziellen Betriebs nach Übergabe durch den Hersteller. Dabei hat sich eine Reihe von Unterschieden bis hin zu Widersprüchlichkeiten in den betrieblichen Vorschriften der einzelnen Kernkraftwerke herausgestellt.
Die betrieblichen Vorschriften unterliegen in den sicherheitstechnisch wichtigen Teilen bei jeder Änderung der Begutachtung, teilweise sogar der Zustimmung durch die Aufsichtsbehörden. Zu den betrieblichen Vorschriften gehören das Betriebshandbuch und Betriebsanweisungen, aber auch von Gutachter und Behörde für jeden Betriebszyklus geprüfte Unterlagen über den Reaktorkern und die für den jeweiligen Kern zur Störfallbeherrschung notwendigen Borkonzentrationen (Spezialregelungen). Diese Spezialregelungen weisen bei Druckwasserreaktoren den konkreten Mindestborsäurewert aus, während das Betriebshandbuch in der Regel außerhalb der sogenannten Sicherheitsspezifikation (sicherheitstechnisch herausragender Teil des Betriebshandbuchs) allgemein einen höheren Wert beispielsweise zur Nachborierung vorschreibt. Die Spezialregelungen machen nur Sinn, wenn sie als den allgemeinen Regelungen vorgehend interpretiert werden. Die Werte, gemessen an den Spezialregelungen, wurden jeweils mit weitem Sicherheitsabstand eingehalten. Hinsichtlich der allgemeinen Regelungen im Betriebshandbuch sahen wir Formalverstöße. Dies bedarf nun der rechtlichen Würdigung.
"Wir werden die betrieblichen Vorschriften sorgfältig und möglichst schnell in Abstimmung mit den Behörden überarbeiten. Wir werden dabei darauf achten, dass künftig eine eindeutige Hierarchie der verschiedenen Vorschriften transparent zum Ausdruck kommt. Wir sind es unserem Personal schuldig, dass Unklarkeiten beseitigt werden und sich Fachkunde und schriftliche Regelungen in guter Weise ergänzen", sagte Gerhard Goll.
In keinem Fall wäre bei den 5 Kernkraftwerken im Konzernbereich der Energie Baden-Württemberg (Philippsburg, Block 1 und 2, Neckarwestheim, Block 1 und 2, Obrigheim) bei Störfällen die Sicherheit der Anlagen durch die bekannt gemachten Vorkommnisse berührt gewesen. Auch bei Block 2 von Kernkraftwerk Philippsburg wäre die Sicherheit bei einem Störfallablauf, wie er seit kurzem wissenschaftlich diskutiert wird, aber noch nicht im Regelwerk berücksichtigt ist, jederzeit gegeben gewesen. Dies ergab ein Großversuch zur Nachbildung der speziellen Verhältnisse, die im Block 2 des Kernkraftwerks Philippsburg nach der Revision im August 2001 aufgetreten sind. Bei diesen Versuchen wurde in einem sehr großen Behälter Wasser auf Borsäure geschüttet und anschließend die Konzentration der Borsäure über die gesamte Behälterhöhe ausgemessen.
Gerhard Goll: "Bei den Vorkommnissen im Block 2 in Philippsburg vom August 2001 hat es eine Reihe menschlicher Fehler und Unterlassungen gegeben. Diese Vorkommnisse unterscheiden sich grundsätzlich von den Vorgängen in Obrigheim und GKN 1. Dort war das Bewusstsein über den - sicherheitstechnisch einwandfreien - Zustand der Anlage jederzeit vorhanden, sodass sich die Frage nach der Zuverlässigkeit des Betreibers nicht stellt. Für Philippsburg 2 sind die notwendigen Maßnahmen eingeleitet, um Zweifel an der Zuverlässigkeit auszuschließen."
Den Vorkommnissen in Philippsburg, Neckarwestheim und Obrigheim gemeinsam sei die Tatsache, dass es in keinem Fall - auch bei den zu unterstellenden Störfällen - zu einer objektiven Gefährdung habe kommen können. Gerhard Goll erklärte: "Wir haben Konsequenzen gezogen. Wir machen unsere Hausaufgaben. Wir haben Verbesserungsbedarf, wir erwarten dabei von den anderen Beteiligten, dass sie gemeinsam mit uns aus den Vorkommnissen lernen."
Der Vorstandsvorsitzende der Energie Baden-Württemberg appellierte an alle beteiligten Gutachter und Behörden, die Vorkommnisse möglichst rasch zu bewerten und sich für klare Regelungen in den Betriebsunterlagen einzusetzen. Im übrigen verwies Gerhard Goll nochmals darauf, dass die Energie Baden-Württemberg einen nuklearen Sicherheitsbeauftragten mit direktem Vortragsrecht beim Vorstandsvorsitzenden installieren will.
Auswertung für das Kernkraftwerk Philippsburg
Block 1
Block 1 des Kernkraftwerk Philippsburg ist ein Siedewasserreaktor. Zur Beherrschung von Kühlmittelverluststörfällen muss eine ausreichende Wassermenge in der Kondensationskammer vorhanden sein. Daher wird der Füllstand in der Kondensationskammer kontinuierlich erfasst und kontrolliert. Der minimale Füllstand der Kondensationskammer beträgt nach den Vorgaben des Betriebshandbuchs 16,34 Meter. Die Auswertung der Anfahrvorgänge nach den Revisionen seit 1981 (1981 war die erste Revision nach Übergabe durch den Hersteller an den Betreiber) ergibt, dass der vorgegebene Sollwert in keinem Jahr unterschritten wurde.
Im Gegensatz zum Druckwasserreaktor wird im Kühlmittel des Siedewasserreaktors kein Bor verwendet. Lediglich das Vergiftungssystem als diversitäres Abschaltsystem zu den Steuerstäben verwendet hoch angereicherte Borsäure. Unabhängig von der Stellung und der Wirksamkeit der Steuerstäbe muss bei jedem Betriebszustand der Siedewasserreaktor mit Hilfe des Vergiftungssystems abgeschaltet und langfristig unterkritisch gehalten werden können. Der Sollfüllstand im Vergiftungslösungsbehälter liegt zwischen 3,45 und 3,55 Meter. Die Borkonzentration lässt sich aus der Natriumpentaboratkonzentration ableiten. Die Natriumpentaboratkonzentration muss mindestens 13,5 Gewichtsprozent betragen. Die Ergebnisse der Auswertung des Füllstandswertes im Vergiftungslösungsbehälter sowie der Analysewerte der Natriumpentaboratkonzentration ergeben rückwirkend bis 1981, dass die erforderlichen Werte bei allen Anfahrvorgängen vorhanden waren.
Block 2
Über die Vorgänge wurde bereits detailliert berichtet.
Gemeinschaftskernkraftwerk Neckar
Beide Kernkraftwerke des GKN sind Druckwasserreaktoren. Block I hat ein Primärsystem mit 3 Kühlkreisläufen, Block II hat ein Primärsystem mit 4 Kühlkreisläufen.
Gemeinschaftskernkraftwerk Neckar Block I
GKN I ist mit 3 Notnachkühlsträngen ausgerüstet, die den 3 Kühlkreisläufen direkt zugeordnet sind. In jedem Notnachkühlsystem ist jeweils 1 Flutbehälterpaar installiert. Zusätzlich ist ein 4. Notkühlstrang installiert, der auf die 3 anderen Not- und Nachkühlstränge aufgeschaltet ist. Der 4. Notkühlstrang besteht ebenfalls aus einem Behälterpaar und den erforderlichen Pumpen.
Zusammenfassend läßt sich folgendes feststellen:
* Borkonzentrationen
Die gemessenen Borkonzentrationen in den Flutbehältern lagen seit dem ersten BE-Wechsel (1977) beim Wiederanfahren immer oberhalb der im Betriebsreglement spezifizierten Werte.
* Füllstände
Nach dem Betriebsreglement müssen beim Wiederanfahren nach dem BE-Wechsel 3 von 4 Flutbehälterpaare verfügbar sein. Bei einem Druck > 90 bar im Reaktorkühlkreislauf beträgt der Soll-Füllstand 8,85 m, der Sicherheitsfüllstand beträgt 8,25 m. Nur in der Revision 1997 lag während des nichtnuklearen Anfahrbetriebs der Füllstand in den 3 erforderlichen Flutbehälterpaaren bei 8,50 m. Die Abweichung vom Sollfüllstand betrug 4 %. Dieser wurde nach 16 Stunden wieder erreicht. Die Sicherheit der Anlage war stets gewährleistet, da der Sicherheitsfüllstand von 8,25 m immer überschritten war.
Hinweis: Die Flutbehälterfüllstände sind nur bis zum Jahr 1995 rückverfolgbar; ältere Unterlagen liegen nicht vor. Die Aufbewahrungspflicht für solche Unterlagen beträgt 5 Jahre.
Gemeinschaftskernkraftwerk Neckar Block II
GKN II ist mit 4 Flutbecken ausgerüstet. Die Flutbecken sind Teil der vierfach redundanten Not- und Nachkühleinrichtungen. Sowohl die Borkonzentrationen als auch die Füllstände in den Flutbecken wurden seit dem ersten Brennelementewechsel überprüft.
Zusammenfassend läßt sich folgendes feststellen:
- Borkonzentrationen Die gemessenen Borkonzentrationen in den Flutbecken lagen beim Wiederanfahren nach BE-Wechsel immer oberhalb der im Betriebsreglement spezifizierten Werte.
- Füllstände Die Füllstände entsprachen immer den im Betriebsreglement festgelegten Werten. Die Unterschreitung des Füllstandes in einem Flutbecken von 4 % über 3 Stunden im nichtnuklearen Anfahrbetrieb nach dem BE-Wechsel 2000/1 war im Zusammenhang mit einer Instandhaltungsmaßnahme zulässig.
Kernkraftwerk Obrigheim
Borkonzentration in den Borwasserbehältern
Wie bereits gemeldet, war die im Betriebshandbuch vorgegebene Borkonzentration in der Revision 2001 in einem Behälter um 6 % unterschritten.
Die Vorgabe dieser Borkonzentration ist ein abdeckender Wert für die jeweils genehmigten Kernbeladungsvarianten. Seit der Inbetriebnahme hat sich dieser Wert entsprechend geänderter Anforderungen des Standes der Technik oder bei Änderungen der Brennelementanreicherungen in Stufen von 1.800 ppm auf 2.500 ppm erhöht. Betriebliche Praxis ist, dass die Borkonzentration entsprechend der aktuellen Kernbeladung jährlich berechnet und vom Gutachter geprüft wird. Diese geprüfte Borkonzentrationsvorgabe liegt natürlich immer unter dem vorgegebenen abdeckenden Wert und schwankt in Abhängigkeit von der jeweiligen Kernbeladung. Damit ist für den aktuellen Kern die geforderte Sicherheit nach dem Stand der Technik nachgewiesen. Deshalb hatte die Wiederherstellung dieser abdeckenden Vorgabe keine hohe Priorität und wurde stets erst wenige Tage nach dem Kritischmachen wiederhergestellt.
Für die Zukunft ist eine Änderung des Betriebshandbuches vorgesehen, so dass diese Vorgehensweise auch im Betriebshandbuch beschrieben ist.
Füllstände in den Borwasserbehältern
KWO verfügt über ein viersträngiges Sicherheitseinspeisesystem (viermal 100 % Einspeisestränge; zweimal 100 % Borwasservorräte, wobei sich die Borwasservorräte in einen 100 %-Behälter und zwei 50 %-Behälter aufteilen). In der Revision 2001 wurde im Rahmen des Anfahrens des Kraftwerkes der Primärkreislauf mit Borwasser aus dem Borwasserbehälter 1 ergänzt, wodurch das Niveau in diesem Behälter auf 7,0 Meter abgesenkt wurde. Da kein sofortiges Auffüllen erfolgte, war der Regelbereich (7,5 bis 8 Meter) beim Anfahren des Kraftwerks unterschritten. Die Vorgaben im Betriebshandbuch wurden 3 Tage nach dem Kritischmachen wiederhergestellt.
Im betroffenen Flutbehälter ist auch boriertes Wasser enthalten, das für das so genannte Containment-Sprühsystem reserviert ist. Der Betrieb des Sprühsystems ist bei Obrigheim nur langfristig im Rahmen von Notfallmaßnahmen vorgesehen. Dabei gibt es im Betriebshandbuch keine Betriebs- und Störfälle, die den Betrieb des Sprühsystems erforderlich machen. Deshalb ist die Nutzung der Sprühreserve ausdrücklich für die Sicherheitseinspeisung zugelassen, so dass der Borwasservorrat insgesamt mehr als ausreichend war.
Das redundante zweisträngige Sicherheitseinspeisesystem mit den zugehörigen Borwasservorräten (Behälter 2 und 3) stand immer uneingeschränkt zusätzlich zur Verfügung.
Dieser Sachverhalt aus der Revision 2001 kann sinngemäß auf die vergangen 10 Jahre übertragen werden. Im Bewusstsein, dass insgesamt im Borwasserbehälter 1 - einschließlich Sprühreserve - eine für die Notkühlung ausreichende Menge zur Verfügung steht, wurde dieser Regelabweichung keine hohe Bedeutung beigemessen.
KWO wird diese Vorkommnisse nach der Kategorie N der Aufsichtsbehörde melden. Im Betriebshandbuch soll klargestellt werden, dass der gesamte Borwasservorrat ausschließlich der Sicherheitseinspeisung zugerechnet wird.
Im redundanten System (Behälter 2 und 3) gab es 1996 eine Abweichung von 4 % bei den geforderten Borwasservorräten. Da hier im Unterschied zum Flutwasserbehälter 1 die spezifizierte Borwassermenge insgesamt unterschritten wurde, wird trotz dieser geringen Beeinträchtigung formal der Ausfall eines Stranges angesetzt und als Vorkommnis der Kat. N gemeldet.
Die dargestellten Regelabweichungen haben insgesamt zu keinem Zeitpunkt die Sicherheit der Anlage in Frage gestellt.
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