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Amputationen vermeiden: „Aufgeben ist keine Option“

Amputationen vermeiden: „Aufgeben ist keine Option“
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Chefarzt Arun Kumarasamy hat sich in der Interventionellen Radiologie des DGD Krankenhauses Sachsenhausen auf die Rettung von Unterschenkeln und Füßen spezialisiert.

Frankfurt-Sachsenhausen. Klaus Scherer sitzt kurz nach seinem 76. Geburtstag ganz entspannt und lachend auf dem Untersuchungstisch eines hochmodernen Röntgengeräts im Katheterlabor des DGD Krankenhauses Sachsenhausen in Frankfurt. „Hier wurde ich vor drei Jahren das erste Mal behandelt. Die Arbeit von Chefarzt Arun Kumarasamy und seinem Team hat mich damals gerettet“, sagt Scherer.

Denn als der passionierte Hobby-Golfer im April 2020 zur Behandlung in die Interventionelle Radiologie zu Kumarasamy kam, war er am Boden zerstört: „In der Klinik, in der ich zuvor behandelt worden war, sah man keine Rettung mehr für meinen rechten Unterschenkel und Fuß. Es bleibe nur noch die Amputation“, erinnert sich Klaus Scherer.

Eine Diagnose, mit der er sich nicht abfinden wollte – zu viel hatte er bereits durchgemacht. Seit geraumer Zeit leidet er bereits unter Durchblutungsstörungen. „Und das, obwohl ich seit über 40 Jahren Sport treibe. Alleine auf dem Golfplatz bin ich bei jeder Runde etwa zwölf Kilometer unterwegs.“ Bevor er nach Frankfurt-Sachsenhausen kam, war Klaus Scherer bereits in fünf Krankenhäusern behandelt worden. „Und beim letzten Mal bin ich am Ende des Eingriffs ins Koma gefallen, weil offenbar ein Nerv verletzt worden war.“ Vier Wochen lag Scherer im Koma, musste danach weitere acht Wochen in Reha. „Ich musste das Laufen neu lernen“, sagt er. Und entlassen wurde der ehemalige Unternehmer mit der Gewissheit, dass bei einem weiteren Eingriff in einer Klinik Unterschenkel und Fuß amputiert werden sollten.

Für den Chefarzt war klar: „Wir amputieren nicht“

„Ich war völlig verzweifelt“, sagt Scherer. Doch plötzlich gab es wieder Hoffnung: Ein Bekannter empfahl ihm die Behandlung im DGD Krankenhaus Sachsenhausen. Und für Chefarzt Arun Kumarasamy stand fest: „Wir amputieren nicht.“ Lediglich der Teil einer Zehe musste „fallen“, war aufgrund der mangelnden Durchblutung bereits nekrotisch und nicht mehr zu retten. Mitte April vor drei Jahren fand dann der erste Eingriff statt. „Der dauerte nahezu sieben Stunden“, erläutert der Mediziner. Dem klar ist: „Wenn in den Arztbriefen der Kollegen steht, dass sofort amputiert werden muss – dann kann ein solcher Eingriff auch schief gehen, und man ist am Ende der Buhmann.“

Im Fuß habe es damals eine starke Infektion gegeben, „aber das Gewebe war noch nicht vollständig verloren“, beschreibt der Radiologe, der bereits seit zehn Jahren auf die Rettung der unteren Extremitäten spezialisiert ist. Arun Kumarasamy war sich sicher: „Die Infektion kann in Schach gehalten werden, wenn die Gefäße wieder zum infizierten Gewebe führen – und zwar bestenfalls direkt, aber mindestens auf einem schnelleren Weg, als vorher.“ Dies sei die Voraussetzung dafür, dass Medikamente überhaupt im befallenen Gewebe wirken können. Der Mediziner sah „eine realistische Chance, die Amputation des Unterschenkels zu vermeiden“.

Kumarasamy ist sich auch der Gefahr bewusst, dass durch die Regression die toxischen Stoffe aus dem infizierten Gewebe wieder in den Körper gespült werden – es droht eine Sepsis. „Wenn der Patient sehr geschwächt ist, ist das eine große Gefahr.“ Doch Klaus Scherer war ansonsten fit. Also nahm der Arzt die Herausforderung an – im Wissen: „Es ist Medizin. Man hat nur einen Versuch.“

Was genau macht die Arbeit in Unterschenkel und Fuß so schwierig? „Je weiter man nach unten vordringt und sich die Gefäße immer weiter verästeln, umso feiner werden sie.“ Eineinhalb bis zwei Millimeter haben sie dann mitunter nur noch im Durchmesser – da erscheinen die drei Millimeter Durchmesser im Unterschenkel schon als groß. Noch dazu handele es sich teilweise „um chronische, langstreckige Verschlüsse“, was die Behandlung ebenfalls erschwere. „Bei der Behandlung kommt es auf eine Mischung aus Handwerk und der neuen Technologie an“, verdeutlicht Arun Kumarasamy. In der Interventionellen Radiologie im DGD Krankenhaus Sachsenhausen gebe es eine der modernsten Anlagen der Welt, die er mit neuen Methoden wie etwa der Atherektomie kombiniert. „Und dann arbeiten wir als Rohrreiniger“, sagt der Chefarzt lachend.

Niedrige Strahlendosis Dank der Fluoroskopie

Wieso „Rohrreinigung“? „Weil es genau das ist“, sagt Kumarasamy. Denn durch Ablagerungen in den Gefäßen verschließen sich diese, lassen kein Blut mehr durch. Über die Leiste wird der Katheter eingeführt, der Arzt sucht sich ­– gestützt durch angiografische Live-Bilder des Röntgengeräts – seinen Weg bis hin zu den Verstopfungen. „Fluoroskopie“ lautet das Stichwort. Dabei dringen die Röntgenstrahlen in einer sehr geringen Dosis in den Körper ein. Die hochmoderne Durchleuchtungsanlage im DGD Krankenhaus Sachsenhausen mit ihrem Flachbild-Detektorsystem erstellt digitale Aufnahmen. „Die Strahlendosis ist so gering, dass sie nach einem Meter schon kaum noch messbar ist.“ Dabei sei die Auflösung der Geräte so hoch, „dass man durch die detaillierten Bilder auch Komplikationen wesentlich feiner beherrschen kann“, sagt Kumarasamy.

Immer filigraner werden indes die eingeführten Drähte, sehen mitunter aus wie die Fäden von Spinnweben. Millimeter für Millimeter arbeitet sich der Arzt mit dem Feindraht bis zu den Gefäßverschlüssen voran. Nicht immer ist der direkte Weg möglich – dann muss sich Kumarasamy mit seinem Team einen anderen Weg suchen.

„Das ist der schwierigste Teil: Man muss mit dem Draht die Läsion passieren. Egal, ob es sich nur um eine Engstelle oder schon um einen Verschluss handelt.“ Ist das geschafft, kommen die unterschiedlichsten Werkzeuge zum Einsatz, die sich an den Enden weiterer Drähte befinden. „Mal kann man mit einem Ballon und großem Druck von bis zu 20 Bar versuchen, die Verkalkungen der komplett versteinerten, kalzifizierten Gefäße quasi durch Aufdehnen des Ballons die Plaques wegzusprengen“, sagt der Arzt. „Würde man eine solche Arterie aufschneiden, dann würde sich das wie kleinste, harte Steinsplitter anfühlen“, verdeutlicht er.

Doch nicht immer können die Gefäße mittels Ballon aufgedehnt werden, „weil die Läsionen etwa mit dem Draht passierbar sind – aber nicht mit dem Ballon, weil der zu rau ist“. Also kommt beispielsweise die Rotationsatherektomie zum Einsatz, bei der an der Spitze des Katheters ein kleiner Bohrkopf sitzt, der die Ablagerungen der Gefäße abträgt. Das zerkleinerte Material wird mit Wasser angesaugt und über den Katheter aus dem Körper entfernt. Es gibt auch schneidende Katheter mit winzigen Klingen an der Spitze: Werden diese durch das Gefäß geschoben, können Ablagerungen quasi abgefräst werden.

Strategie gleicht dem Vorgehen während eines Schachspiels

„Wenn die Engstellen danach passierbar sind, kann ich den Ballon vorschieben und ihn aufdehnen“, beschreibt Arun Kumarasamy. Nach und nach arbeitet sich das Team so vor, „das ist eine Fleißarbeit. Und immer wieder passen wir unsere Strategie an.“ Letztlich sei die Vorgehensweise vergleichbar einem Schachspiel, indem man immer mehrere Züge im Voraus berechnen müsse. „Wenn ich mich für einen Weg entscheide, muss klar sein, dass ich mir dadurch andere Möglichkeiten nicht verbaue. Ich muss immer die Auswirkungen im Blick behalten. Und es steht fest: Aufgeben ist keine Option. Das Blut muss wieder fließen – erst dann darf man aufhören.“

Kumarasamy verfeinert seine Technik immer weiter, ist mittlerweile weltweit als Spezialist gefragt. Er bietet Trainings für einen Medizintechnikhersteller an, spricht auf Symposien – und war kürzlich in Thailand in einem Klinikum zu Gast, in dem auch die Thailändische Königsfamilie behandelt wird. „Das war schon ein herausforderndes Erlebnis: Spitzen-Ärzte aus der ganzen Welt haben zugeschaut, wie ich einen Patienten behandelt habe.“ Darüber hinaus kommen viele Spitzen-Mediziner nach Sachsenhausen, um an Schulungen von Arun Kumarasamy teilzunehmen.

An Übung mangelt es ihm nicht. Denn das DGD Krankenhaus Sachsenhausen hat – als älteste Diabetes-Klinik Europas, die vom Bundesverband Klinischer Diabetes-Einrichtungen (BVKD) mit fünf Sternen ausgezeichnet ist – entsprechend viele „diabetische Füße“ zu behandeln. „Dabei haben wir eine extrem niedrige Amputationsrate von unter 1,5 Prozent.“ Maßgeblich dafür auch: „Unser Team, denn ohne dieses Team wäre die Medizin nur halb so gut.“ Es gehe bei flachen Hierarchien nahezu familiär zu, „wir haben die Leute selbst ausgebildet. Es macht schon sehr großen Spaß, auf diesem Niveau zusammenzuarbeiten, denn alle antizipieren die Schritte, die als nächstes kommen.“ Gerne würde Kumarasamy das Team vergrößern, doch schlägt der Fachkräftemangel auch in seinem Bereich durch. „Wer in diesem spannenden Bereich arbeiten möchte, kann sich also auf jeden Fall gerne bewerben“, sagt er mit einem Augenzwinkern.

Und wie geht es nun mit Klaus Scherer weiter? Der kommt alle vier bis sechs Wochen aus dem Taunus nach Sachsenhausen zur Kontrolle, ob der Heilungsprozess weiterhin optimal läuft. Falls es dann neue Verschlüsse gibt, werden die schnellstmöglich – binnen zwei Tagen – wieder geöffnet. „Das ist mittlerweile schon fast Routine für mich, ich schaue dann auf den Monitoren gerne zu und lasse mir genau erklären, was geschieht“, sagt der 76-Jährige. Er hat ein Ziel: „Dass die Wundheilung dieses Jahr abgeschlossen ist. Denn dann kann ich endlich wieder in ein Flugzeug steigen.“ Für einen Urlaub? „Nur zum Teil“, sagt Klaus Scherer lachend, „in Südafrika gibt es wunderbare Golfplätze. Dort will ich gerne wieder spielen“. Und auch auf Hawaii möchte er gerne wieder an den Abschlag. „Dank des Wunders, das hier in Sachsenhausen vollbracht wurde, geht das zum Glück wieder.“

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