Bitte freundlich sein!
Petra Meibert, therapeutische Leitung der Oberberg Tagesklinik Essen, zur Bedeutung einer mitfühlenden Haltung für Körper und Geist
Berlin (ots)
Bilder und Schlagzeilen über flüchtende Menschen, Gewalt, Naturkatastrophen und Krankheiten begegnen uns tagtäglich, machen betroffen und sorgen für ein Gefühl von Hilflosigkeit. Wie eine mitfühlende Haltung sich selbst und der Welt gegenüber helfen kann, gesund durch Krisen zu kommen, erklärt Petra Meibert, Diplom-Psychologin und therapeutische Leitung der Oberberg Tagesklinik Essen.
Mitleid, Mitgefühl, Empathie - wo liegt der Unterschied?
"Menschen nehmen Anteil an Schicksalen anderer. Sie können Freude teilen, Trauer und Wut von anderen fühlen sowie Schmerzen spüren, selbst wenn sie sich diese nur vorstellen. Diese Fähigkeit nennen Psychologen 'Empathie', sie wird auch als Resonanz beschrieben. Und Resonanz erleben wir bei allen Gefühlen, sowohl den angenehmen wie Freude und Glück als auch den unangenehmen wie Ekel, Schmerz oder Ärger", erklärt Petra Meibert. "So schön Anteilnahme in einem positiven Fall ist, so belastend und krankmachend kann sie bei negativen Ereignissen und Gefühlen sein. Welche Haltung beim Anteilnehmen eingenommen wird, macht einen entschiedenen Unterschied für das psychische Wohlergehen", so die Diplom-Psychologin weiter.
Expertinnen und Experten unterscheiden zwischen Mitgefühl und Empathie, während diese Begrifflichkeiten im Alltag häufig synonym verwendet werden. Manchmal wird auch Mitleid im Sprachgebrauch gleichbedeutend verwendet. Empathie ist die grundsätzliche Fähigkeit, die Gefühlslage anderer Menschen wahrnehmen zu können, also zu erkennen, ob jemand z.B. gerade wütend, traurig oder fröhlich ist. Empathie meint auch das Einfühlen in das Gegenüber, allerdings kann es hier passieren, von Gefühlen übermannt zu werden. Mitgefühl beschreibt das Mit-Fühlen oder Sich-Einfühlen, verbunden mit dem Wunsch, helfen zu wollen. Das Leid des anderen wird dabei aber nicht angeeignet, ein gewisser Abstand bleibt. Das ist hilfreich, um mögliche Lösungswege zu erkennen. Im Gegensatz zum Mitgefühl steht bei Empathie nicht der Wunsch, aktiv zu werden und helfen zu wollen, im Mittelpunkt. Es ist eine eher passive Haltung, bei der man den anderen bedauert.
Der Unterschied zwischen Empathie und Mitgefühl lässt sich wissenschaftlich nachweisen. Tania Singer, Direktorin der Sozialen Wissenschaften am Max-Planck-Institut in Leipzig, hat in einer Untersuchung herausgefunden, dass jeweils andere Hirnareale des Menschen aktiv sind, wenn er "mit-fühlt" oder "mit-leidet". Mit unterschiedlichen Auswirkungen auf ihn. "Beim Mitgefühl sind vor allem die Gehirnareale des Belohnungssystems aktiv, sowie die, die für das Empfinden von Liebe und Zuwendung zuständig sind. Bei Empathie, wenn wir zum Beispiel Schmerz mitempfinden, sind hingegen die Schmerzareale aktiv. Diese sind identisch mit den Angstarealen des Gehirns. So wird unterschwellig und langfristig Angst evoziert, wenn wir nur empathisch in Resonanz mit dem Gegenüber sind. Und das tut auf Dauer nicht gut, sondern kann zusetzen und auslaugen", so die Expertin. Man spricht auch von "Empathie-Müdigkeit", "Empathischem Stress" oder "Burnout-Empathie". Das passiert häufig dann, wenn man sich nicht vom Schicksal anderer abgrenzen kann, zum Beispiel in pflegenden Berufen oder bei Ärztinnen und Ärzten.
Vom Umgang mit der Welt
Aber wie schafft man es, mit der Welt und den aktuellen Krisen gesund umzugehen? "Emotional dicht zu machen, wäre nicht die Lösung. Das würde nur bedeuten, Emotionen nicht zuzulassen - gefühlskalt zu werden, was für eine gesunde Psyche nicht zuträglich wäre. Hierbei schneiden wir uns dann nämlich auch von den positiven, nährenden Gefühlen wie Freude, Verbundenheit, Mut und Hoffnung ab. Wenn wir uns also dem Leid zuwenden wollen, dann benötigen wir etwas, um den eigenen Geist zu stabilisieren und nicht in das Leid hineingezogen zu werden. Hier kann eine achtsame und mitfühlende Haltung hilfreich sein. Sich bewusst zu machen, hier oder dort haben Menschen gerade Sorgen, Angst oder sind in Trauer. Es berührt mich und doch lasse ich mich nicht von meinen Gefühlen überrollen. Vielmehr schaue ich, ob und wie ich konkret helfen kann", rät Petra Meibert. Denn Mitgefühl hat immer eine aktive Komponente.
Selbst in Situationen, in denen man nicht aktiv helfen kann, zum Beispiel beim Verfolgen der Nachrichten, muss man nicht erstarren, wegschauen oder verdrängen. Hier kann es für den eigenen emotionalen Zustand hilfreich sein, sich zu verinnerlichen, mit dem Gegenüber verbunden und ihm wohlgesonnen zu sein. Das gedankliche Wiederholen positiver Sätze wie 'Mögest du Trost finden' oder 'Möge es dir bald besser gehen' ist eine Möglichkeit, mit dem Leid des anderen besser umzugehen und den eigenen Geist zu stabilisieren. So kann die eigene Geisteshaltung bei allen Schreckensnachrichten positiv ausgerichtet und eine innere Widerstandskraft, auch Resilienz genannt, entwickelt werden.
Freundlich zu sich selbst sein
Eine mitfühlende Haltung ist nicht nur gegenüber anderen möglich. Sie kann auch für jeden Menschen selbst gelten. Anstatt zum Beispiel Schuldgefühle zu entwickeln und sich für das eigene gute Leben zu kritisieren, während andere Menschen Krieg, Krankheiten oder andere Schicksalsschläge erleiden müssen, wäre es sinnvoller, sich selbst gegenüber eine freundliche, mitfühlende Haltung einzunehmen. "Es kann helfen, sich vorzustellen, man sei ein Kind, das getröstet und dem gut zugesprochen wird. Mit der Zeit wird man merken, dass dies der Psyche und dem eigenen Wohlbefinden guttut. Das braucht Übung, aber je häufiger man eine positive, freundliche Haltung sich selbst und der Welt gegenüber einnimmt, desto selbstverständlicher wird sie", so Meibert weiter.
Selbstachtsamkeit in der Therapie - Compassion Focused Therapy
"Auch im Bereich der Psychologie ist die positive Wirkung einer mitfühlenden Haltung auf den Menschen bekannt und deshalb häufiger Therapiebestandteil. Sie kann zum Beispiel bei der Bewältigung von Traumata, Depression oder Ängsten zum Einsatz kommen", so Petra Meibert, die neben ihrer Tätigkeit in der Oberberg Tagesklinik Essen als MBCT-Therapeutin (Mindfulness-Based Cognitive Therapy), Ausbilderin und Supervisorin für Achtsamkeitsbasierte Therapieverfahren und als Leitung des Achtsamkeitsinstituts Ruhr tätig ist. Gerade bei auftretender starker Selbstkritik, Selbstvorwürfen, Schuldgefühlen und Scham, die bei vielen psychischen Erkrankungen von Bedeutung sind, kann die Compassion Focused Therapy gute Dienste tun. Patientinnen und Patienten erlernen dabei, auch sich selbst gegenüber Mitgefühl zu empfinden, was sich schließlich positiv auf den gesamten Therapieverlauf auswirken kann. Dies ist ein Prozess und gelingt nicht sofort. Nicht selten verspürt man erst einmal Trauer über das ganze "nicht gelebte Leben" oder die "mit Selbstabwertung vertane Zeit". Auch dieser Schritt ist im therapeutischen Prozess wichtig, bevor Patientinnen und Patienten wirklich eine freundlich-mitfühlende Haltung sich selbst gegenüber etablieren können. Gleichzeitig hilft Selbstmitgefühl dann aber, längerfristig die Schuld- und Schamgefühle zu reduzieren.
In der Oberberg Tagesklinik Essen kommt die Compassion Focused Therapy (CFT) im therapeutischen Bereich zum Einsatz. Sie ist Bestandteil der sogenannten dritten Welle der Verhaltenstherapie, zu der auch MBSR (Mindfulness-based Stress Reduction) und MBCT (Mindfulness-based Cognitive Therapy) gehören - allesamt Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapien.
Mehr über die Oberberg Tagesklinik Essen:
https://www.oberbergkliniken.de/standorte/tagesklinik-essen
Über die Oberberg Gruppe: Die Oberberg Gruppe mit Hauptsitz in Berlin ist eine vor mehr als 30 Jahren gegründete Klinikgruppe mit einer Vielzahl an Fach- und Tageskliniken im Bereich Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an verschiedenen Standorten Deutschlands. In den Kliniken der Oberberg Gruppe werden Erwachsene, Jugendliche und Kinder in individuellen, intensiven und innovativen Therapiesettings behandelt. Darüber hinaus existiert ein deutschlandweites Netzwerk aus Oberberg City Centers, korrespondierenden TherapeutInnen und Selbsthilfegruppen.
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