Mit Depressionen in die Hausarztpraxis
Effektive Wege der Früherkennung und Behandlung in der Primärversorgung
Berlin (ots)
Depressionen gehören zu den häufigsten und gleichzeitig am meisten unterschätzten Erkrankungen in Deutschland. Studien belegen, dass etwa jeder fünfte bis sechste Erwachsene im Laufe seines Lebens mindestens einmal eine depressive Phase durchmacht. Zu Beginn bemerken die Betroffenen meist unspezifische Symptome wie Schlafprobleme, Antriebsstörungen, Verdauungsbeschwerden oder verschiedene Arten von Schmerzen. Dies wird häufig als körperliches Leiden interpretiert, weshalb viele Menschen zunächst Hilfe bei ihrem Hausarzt oder ihrer Hausärztin suchen. Statistiken zeigen, dass etwa 10 Prozent der Patientinnen und Patienten, die in die hausärztliche Praxis kommen, Anzeichen einer depressiven Störung aufweisen.
Diagnosen richtig stellen
Priv. Doz. Dr. Lars Hölzel sieht hierin eine große Chance zur frühzeitigen Erkennung und Behandlung: "Hausarztpraxen verfügen über die erforderlichen Qualifikationen, um eine adäquate Anamnese durchzuführen und den Schweregrad von Depressionen einzuschätzen", sagt der Leitende Psychologe der Oberberg Parkklinik Wiesbaden Schlangenbad und der Oberberg Tagesklinik Frankfurt am Main. Ein Problem besteht jedoch darin, dass viele Depressionserkrankte in der Sprechstunde primär ihre physischen Beschwerden schildern, emotionale Belastungen aber nicht von sich aus mitteilen. Das erschwert die korrekte Diagnostik erheblich.
In diesem Kontext ist ein gezieltes Erfragen von Symptomen erforderlich. "In der Allgemeinmedizin ist nur wenig Zeit für ausführliche Explorationen vorhanden. Um unter diesen Bedingungen ökonomisch arbeiten zu können, hat sich ein gestuftes Vorgehen mit gezielten Screening-Fragen und fokussierten Vertiefungsfragen bewährt, um depressive Störungen zu erkennen und geeignete Therapieansätze zu entwickeln", so Hölzel.
Innovative Ansätze in der Primärversorgung
Tatsächlich nehmen Hausarztpraxen bei der Behandlung von Depressionen eine Schlüsselrolle ein. Derzeit werden rund zwei Drittel der Betroffenen ausschließlich ambulant hausärztlich betreut. Dazu Dr. Hölzel: "Der Schwerpunkt liegt aktuell noch auf der Verschreibung von Medikamenten. Allerdings stehen Hausärztinnen und Hausärzten bei leichten bis mittelschweren Fällen noch weitere wirksame Mittel zur Verfügung, nämlich effektive psychotherapeutische Kurzinterventionen wie das Problemlösetraining für die Primärversorgung, kurz PLT-PV, und die Interpersonelle Beratung." Beide Verfahren wurden speziell auf die Anforderungen in hausärztlichen Praxen zugeschnitten und in wissenschaftlichen Studien erprobt.
Gesprächstherapie statt Medikamente
Beim PLT-PV geht es darum, die Fähigkeiten der Patientinnen und Patienten zur Problembewältigung zu stärken, indem sie in gemeinsamen Sitzungen mit dem Behandelnden konkrete Herausforderungen identifizieren und Lösungsstrategien entwickeln. Dies ermöglicht es den Betroffenen, aktiv an ihrer Genesung zu arbeiten und einen besseren Umgang mit belastenden Situationen zu erlernen.
Die Interpersonelle Beratung konzentriert sich auf zwischenmenschliche Beziehungen, die oft eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und dem Verlauf von Depressionen spielen. Hierbei agieren die Hausärztinnen und Hausärzte als Coaches und unterstützen die Erkrankten in mehreren Gesprächseinheiten dabei, ihre sozialen Kontakte zu analysieren und gesündere Kommunikations- und Interaktionsmuster zu entwickeln.
Neue Wege gegen den Therapieplatzmangel
Angesichts der massiven Unterversorgung mit Therapieplätzen bietet die gezielte Implementierung von Kurzinterventionen durch die Hausarztpraxen einen effektiven Weg, um möglichst viele Betroffene zu betreuen und schwere Krankheitsverläufe zu verhindern. "Die Hausarztpraxis ist und bleibt die wichtigste Anlaufstelle für Betroffene. Wir müssen den Behandelnden aber mehr Hilfen an die Hand geben, um die wachsende Prävalenz von Depressionen bewältigen zu können", betont Dr. Hölzel, der die Anwendung der evidenzbasierten Methoden im Buch "Psychologische Kurzinterventionen. Für die Hausarztpraxis und die Psychosomatische Grundversorgung" ausführlich beschreibt.
Bei schweren Fällen in fachärztliche Behandlung
Es gibt jedoch auch Situationen, in denen die Betreuung durch die Hausarztpraxis allein nicht mehr ausreicht. Dies betrifft beispielsweise Patientinnen und Patienten mit schweren oder wiederkehrenden Störungen oder weiteren, die Behandlung erschwerenden Diagnosen. In solchen Fällen ist ein Einbezug einer fachspezifischen Ärztin oder eines Arztes oder Psychotherapeutin oder Psychotherapeut erforderlich. Wenn gängige Interventionen wie niedrigintensive Therapien oder die Verwendung von Antidepressiva keine Verbesserung bringen, sollten diese Fachkräfte ebenfalls hinzugezogen werden.
Ein Klinikaufenthalt wird notwendig, wenn akute Gefahr für die Sicherheit der betroffenen Person oder anderer besteht, eine rein ambulante Therapie an ihre Grenzen stößt, beispielsweise aufgrund von starken Belastungen im Lebensumfeld des Betroffenen, oder wenn sich trotz intensiver ambulanter Behandlung keine Besserung einstellt.
Über das Buch: Psychologische Kurzinterventionen. Für die Hausarztpraxis und die Psychosomatische Grundversorgung. Herausgeber Jochen Gensichen, Martin Härter und Mathias Berger. 09/2023. ISBN 9783437152702. Das Buch informiert über psychologische Kurzinterventionen für die wichtigsten psychischen und psychosomatischen Störungen, wie z.B. Depression, Angsterkrankungen, Sucht, für die Anwendung in Haus- und Facharztpraxen. Mit Hilfe von Videoaufnahmen der einzelnen Schritte werden die Inhalte praxisnah und anschaulich dargestellt. Das Buch verfolgt das Ziel, allen Haus- und Fachärzten bei leichteren Formen der häufigsten psychischen und psychosomatischen Krankheitsbilder das nötige Know-how einer nicht-medikamentösen, psychologischen Therapie zu vermitteln und ihnen damit größere Handlungssicherheit zu geben.
Über die Oberberg Gruppe: Die Oberberg Gruppe mit Hauptsitz in Berlin ist eine vor mehr als 30 Jahren gegründete Klinikgruppe mit einer Vielzahl an Fach- und Tageskliniken im Bereich Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an verschiedenen Standorten in Deutschland. In den Kliniken der Oberberg Gruppe werden Erwachsene, Jugendliche und Kinder in individuellen, intensiven und innovativen Therapiesettings behandelt. Darüber hinaus existiert ein deutschlandweites Netzwerk aus Oberberg City Centers, korrespondierenden Therapeutinnen und Therapeuten und Selbsthilfegruppen.
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HOSCHKE & CONSORTEN (oberberg@hoschke.de) www.oberbergkliniken.de
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