g/d/p Markt- und Sozialforschung GmbH Ein Unternehmen der Forschungsgruppe g/d/p
Wie soll das ärztliche Personal in der Triage entscheiden?
Hamburg (ots)
Wenn die erforderliche Intensivbetreuung nicht für alle Erkrankten möglich ist - Was denken Bürger*innen über ärztliche Entscheidungen in der Corona Triage?
Aus der Sicht des Strafrechts steht das ärztliche Personal, das nur eine*n von zwei Erkrankten retten kann, vor einer "Pflichtenkollision". Es ist beiden Erkrankten in gleicher Weise zur Behandlung verpflichtet, kann aber nur eine dieser Pflichten erfüllen. Wenn ärztliches Personal in dieser Situation eine*n der beiden Erkrankten unbehandelt sterben lässt, macht es sich nicht wegen einer Tötung durch Unterlassen strafbar - die Rechtsordnung kann von ihm schließlich nicht Unmögliches verlangen.
Die derzeitige rechtliche Situation gibt der Ärzteschaft bei der Auswahl von Erkrankten einen erheblichen Spielraum. Zwar mag das Grundgesetz dem Staat verbieten (und auch das ist nicht unbestritten), Menschenleben unterschiedlich zu behandeln. Für die Ärzteschaft sind diese Erwägungen allerdings nicht bindend. Ärzte dürfen sich für die Behandlung einer erkrankten Person entscheiden aufgrund des jüngeren Alters oder aufgrund besserer Überlebenschancen. Ärztliches Personal macht sich sogar dann nicht strafbar, wenn Erkrankte etwa wegen ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihres Geschlechts bevorzugt werden: das Strafrecht bewertet die Entscheidungsgründe der Ärzte nicht. Damit lässt das Recht ärztliches Personal in der Triage allerdings auch weitgehend allein; es sagt ihm nicht, nach welchen Kriterien es handeln soll.
In Zusammenarbeit mit Frau Professorin Hoven von der Universität Leipzig, dem Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, sowie der Forschungsgruppe g/d/p fand eine repräsentative Bevölkerungsbefragung statt, in deren Rahmen über 1.000 Personen verschiedene Triage-Konstellationen vorgelegt wurden. Die Befragten mussten entscheiden, welcher*m von zwei Erkrankten sie das lebensrettende Beatmungsgerät zuteilen würden oder ob die Wahl zufällig erfolgen sollte.
Die größte Zustimmung erhielt das Merkmal der klinischen Erfolgsaussicht. 78 Prozent der Befragten zogen den Patienten mit einer 90prozentigen Überlebenschance dem Patienten mit einer nur 20prozentigen Heilungsaussicht vor. Ähnlich verhielt es sich bei einem erheblichen Altersunterschied der Patienten. Vor die Wahl gestellt, einen 80jährigen oder einen 5jährigen retten zu können, entschieden sich 77 Prozent für den 5jährigen, 20 Prozent für das Los. Für die Entscheidung spielten sowohl das Alter als auch die familiäre Situation des Befragten eine Rolle: Personen mit zwei oder mehr Kindern wählten deutlich häufiger den 5jährigen (87 Prozent), Personen über 60 Jahre seltener (69 Prozent entschieden sich für den 5jährigen, 30 Prozent für das Los). Dreiviertel der Befragten würden stets einem Kind den Vorrang vor einem Erwachsenen einräumen.
Eine Verantwortlichkeit für andere war für 60 Prozent der Befragten ein relevantes Kriterium: Sie zogen eine Mutter von zwei Kindern einer kinderlosen Frau vor. Immer noch 58 Prozent der Befragten bezogen in ihre Entscheidung ein eigenes Verschulden des Patienten ein; sie wählten den Patienten, der sich trotz Schutzvorkehrungen infiziert hatte, und nicht denjenigen, der sich an einer "Corona-Demonstration" beteiligt und die Hygieneregeln nicht eingehalten hatte. Jüngere Befragte waren dabei erheblich "strenger" als ältere: Unter den 16 bis 31jährigen entschieden sich 68 Prozent für den unverschuldet infizierten Patienten.
Keine mehrheitliche Zustimmung fand sich für eine Privilegierung von Erkrankten in systemrelevanten Berufen. 25 Prozent der Befragten zogen die Krankenschwester einer Bürokauffrau vor, 73 Prozent ließen den Zufall entscheiden.
Differenziert fiel auch die Bewertung einer Bevorzugung von Erkrankten wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit statistisch besseren Erfolgsaussichten aus. Die Befragten sollten zu der (fiktiven) Entscheidung eines Krankenhauses Stellung nehmen, das angesichts erheblicher Ressourcen- und Zeitknappheit dazu übergegangen war, Frauen vorrangig zu behandeln, da deren Überlebenschance etwa 15 Prozent höher lägen als die von Männern. 41 Prozent stimmten diesem Vorgehen nicht oder eher nicht zu, 31 Prozent stimmten dem voll und ganz bzw. eher zu.
Rechtlich und ethisch schwierige Fragen werfen die Fälle der "Ex-post-Konkurrenz" auf. Bei diesem Szenario sind alle verfügbaren Beatmungsplätze belegt und es wird ein Patient B eingeliefert, der deutlich bessere Aussichten auf erfolgreiche Behandlung hat als ein bereits beatmeter Patient A. In der strafrechtlichen Diskussion ist umstritten, ob sich ärztliches Personal wegen Totschlags strafbar macht, wenn es die lebenserhaltende Behandlung des A beendet, um B zu retten. Gegen eine Strafbarkeit sprechen gute Gründe: Denn auch in der Ex-post-Triage steht die Ärzteschaft vor der Konfliktsituation, dass nur einer der beiden Patienten behandelt werden kann und der Tod des anderen unausweichlich ist. Dass A das Beatmungsgerät bereits erhalten hat, verschafft ihm keine rechtlich relevante privilegierte Position. Diese Einschätzung teilt auch die Bevölkerungsmehrheit: Nur 32 Prozent sprachen sich dafür aus, die Behandlung von A in jedem Fall fortzusetzen.
Die Ergebnisse der Befragung weisen darauf hin, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Entscheidungskriterien "Alter" und "Klinische Erfolgsaussichten" der Erkrankten in der Triage befürwortet. Auch das Kriterium, dass eine Patientin als Mutter für zwei Kinder verantwortlich ist, sowie das Nichtverschulden bei einer Infektion mit Covid-19 Virus, wird von einer knappen Mehrheit der Befragten unterstützt. Nicht mitgetragen hingegen wird eine Entscheidung nach systemrelevanten Berufen der Erkrankten.
Zum Abbruch einer Behandlung, um einen anderen Patienten mit besseren Erfolgsaussichten zu retten, gibt es kein klares Meinungsbild in der Befragung. Hier wäre eine weiterführende Diskussion und Klärung der ethischen Leitlinien für die Ärzteschaft wünschenswert.
Professor Dr. Elisa Hoven ist Professorin für deutsches und ausländisches Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Medienstrafrecht an der Universität Leipzig. https://medienstrafrecht.jura.uni-leipzig.de/personen/prof-dr-elisa-hoven/
Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht https://csl.mpg.de/de/
Die Forschungsgruppe g/d/p bietet Marktforschung und Sozialforschung sowie Insight basierte Beratung für international führende Unternehmen aller Branchen, für Verbände und öffentliche Institutionen. https://www.gdp-group.com
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