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Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw)

Ukraine-Krise: Sanktionen hätten negative Folgen für Russland, EU und Ukraine

Wien (ots)

Ausschluss von SWIFT und US$ schmerzhaft, Russland vorbereitet; drohender Inflationsschub in der EU; Risiken für Raiffeisen, Société Générale, Unicredit; Stabilität der Ukraine in Gefahr

Was wären die wirtschaftlichen Auswirkungen neuer Sanktionen gegen Russland? In einer brandneuen Studie analysiert das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) die möglichen Folgen für Russland, die EU und die Ukraine auf der Grundlage von zwei Szenarien für einen russischen Angriff. Szenario 1: eine begrenzte militärische Intervention. Szenario 2: eine umfassende Invasion. "Im ersten Szenario würden wir eine eher begrenzte Reaktion erwarten, insbesondere von der EU, während im unwahrscheinlichen Fall einer vollständigen Invasion die EU und die USA mit Sicherheit schwere Sanktionen gegen Moskau verhängen würden", sagt Olga Pindyuk, Ökonomin am wiiw und eine der Autor*innen der Studie.

Ausschluss von SWIFT und US-Dollar schmerzhaft, aber Russland vorbereitet

Russland ist durch eine Reduzierung seiner Energieexporte am stärksten gefährdet. "Die Einschränkung des Öl- und Gashandels mit der EU ist jedoch eine 'nukleare' Option, da dies für EU-Mitglieder wie Deutschland, die baltischen Staaten und die mitteleuropäischen Länder, die in hohem Maße von russischen Energielieferungen abhängig sind, mit enormen Kosten verbunden wäre", erklärt Artem Kochnev, auf Russland spezialisierter Ökonom am wiiw und Co-Autor der Studie.

Die andere "nukleare" Option wäre, die russischen Banken von der Finanzierung in US-Dollar abzuschneiden und sie aus dem SWIFT-System auszuschließen. "Dies würde zu einer erheblichen Störung des Finanzsystems führen, zu einem Rückgang der Kreditvergabe und der Investitionen und würde umfangreiche staatliche Kapitalspritzen für den Bankensektor erfordern", so Kochnev. Zwar würde das Wirtschaftswachstum dadurch ernsthaft beeinträchtigt, eine koordinierte Reaktion der russischen Zentralbank und der Regierung sollte die makrofinanzielle Stabilität allerdings für mindestens ein Jahr aufrechterhalten können.

Russland verfügt über einen großen finanziellen Handlungsspielraum. Das Land hat eine sehr niedrige Auslandsverschuldung (29% des BIP im Jahr 2020) und einen Leistungsbilanzüberschuss. Mit den hohen Überschüssen aus dem Öl- und Gashandel wurde der Nationale Wohlfahrtsfonds geäufnet, der über Reserven von mittlerweile 12% des BIP verfügt. Eine konservative Geldpolitik ermöglichte den Aufbau beträchtlicher Devisenreserven in Höhe von insgesamt rund 640 Milliarden US-Dollar. "Putin hat hart am Aufbau der 'Festung Russland' gearbeitet, um westlichen Sanktionsdrohungen ihren Schrecken zu nehmen, obwohl Teile der Wirtschaft weiterhin anfällig für Sanktionen sind", sagt Olga Pindyuk.

Dazu gehören Industriezweige, die stark von Hightech-Importen aus dem Westen abhängig sind, insbesondere bei Halbleitern und Maschinen. Ein Embargo wäre zwar ein schwerer Schlag für bestimmte Branchen, aber nicht tödlich für die Gesamtwirtschaft.

Angesichts der beträchtlichen fiskalischen Puffer Russlands liegt die eigentliche Bedrohung für die russische Wirtschaft nicht in der kurzen Frist, sondern vielmehr in den mittelfristigen Auswirkungen harter westlicher Sanktionen. Ein Embargo bei Hightech-Industriegütern würde die Isolation des Landes vom Westen weiter verstärken. Das würde die Modernisierung der Wirtschaft behindern, insbesondere die dringend erforderliche Diversifizierung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Russland könnte Sanktionen teilweise durch engere Beziehungen zu China ausgleichen, insbesondere im Energiesektor, aber der eingeschränkte Zugang zu westlichem Kapital und westlicher Technologie würde seine ohnehin schwachen Wachstumsaussichten weiter verschlechtern.

EU: Drohender Inflationsschub durch Energiepreissprung

Selbst eine begrenzte russische Militäraktion hätte erhebliche direkte und indirekte wirtschaftliche Folgen für die EU, insbesondere im Energiesektor, wo die Abhängigkeit von russischen Gas- und Öllieferungen groß ist. Die am stärksten gefährdeten Länder sind Deutschland, Österreich und große Teile Mittel- und Osteuropas (CEE).

Nach der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 ist der Handel zwischen der EU und Russland deutlich zurückgegangen. "Fast alle EU-Länder exportieren und importieren anteilig weniger nach und aus Russland als noch 2013", betont Richard Grieveson, stellvertretender Direktor des wiiw und Mitautor der Studie. Gleichzeitig ist der Anteil der russischen Direktinvestitionen stark zurückgegangen.

Obwohl sich die russische und die EU-Wirtschaft seit 2014 teilweise entkoppelt haben, wären die Auswirkungen eines militärischen Konflikts für die EU nach wie vor gravierend. Selbst Länder, die ihre Energieversorgung stärker diversifiziert haben als Deutschland oder Österreich, würden die Konsequenzen spüren. Die derzeitigen Spannungen haben die Energiepreise bereits angeheizt, was die Verbraucherpreise in ganz Europa auf ein Mehrjahreshoch getrieben hat. Eine Unterbrechung der Gaslieferungen nach Europa würde sich sofort massiv auf die Weltmärkte auswirken. "Ein starker Anstieg der Energiepreise würde die ohnehin schon hohe Inflation weiter befeuern, was sich negativ auf die Wirtschaft in der gesamten EU auswirken würde", argumentiert Grieveson.

Raiffeisen International, Société Générale, Unicredit mit Russland-Risiko

"Finanzsanktionen gegen Russland könnten auch einige europäische Großbanken mit großem Russland-Geschäft hart treffen", warnt Grieveson. Die größten westlichen Kreditinstitute sind die österreichische Raiffeisen Bank International (RBI) und die französische Société Générale mit jeweils 18 Milliarden Euro an Aktiva in Russland sowie die italienische Unicredit mit 15 Milliarden Euro.

Stabilität der Ukraine in Gefahr, Westen gefordert

Die Wirtschaft der Ukraine würde am meisten unter einem militärischen Konflikt leiden. Sie wurde bereits durch die aktuelle Situation beeinträchtigt. Die Währung hat an Wert verloren, während die Risikoprämien für staatliche und andere Wertpapiere auf den Kapitalmärkten gestiegen sind. Außerdem hat sich der Reformprozess verlangsamt. Sollte es zu einer militärischen Intervention Russlands kommen, werden die Auswirkungen auf die Wirtschaftstätigkeit je nach Region unterschiedlich sein, wobei die westlichen Teile des Landes, die weiter von militärischen Aktivitäten entfernt wären, weniger betroffen sein würden. Die mögliche Zerstörung wichtiger Teile der Infrastruktur des Landes hätte jedoch Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft. Die Ukraine könnte den Zugang zu ihren wichtigsten Häfen um Odessa verlieren, über die fast die Hälfte der Exporte und Importe des Landes abgewickelt werden. Wenn ein Teil der Transitpipeline-Infrastruktur beschädigt werden sollte, würde das zu erheblichen Unterbrechungen der Energielieferungen in großen Teilen des Landes führen.

Obwohl sich die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen der Ukraine und Russland nach 2014 drastisch verringert haben, würden sich sanktionsbedingt steigende Energiepreise stark auf die Wirtschaft auswirken, da die Energierechnungen einen beträchtlichen Teil der Haushaltsausgaben ausmachen. Das Land verfügt nur über begrenzten fiskalischen Spielraum, um Preisschübe abzufedern. Der Konflikt beeinträchtigt auch die private Investitionstätigkeit erheblich und unterbricht den Zufluss ausländischer Direktinvestitionen.

Daher wird das Land in beiden Szenarien sehr starke westliche Unterstützung benötigen, um die makrofinanzielle Stabilität zu gewährleisten. Sowohl die EU als auch der Internationale Währungsfonds haben neue Hilfen in Milliardenhöhe zugesagt. "Langfristig könnte der Konflikt mit Russland eine Demarkationslinie ziehen, die die restliche Ukraine fest im westlichen Lager verankern und massive Wirtschaftshilfe durch den Westen bedeuten könnte. Es ist aber auch möglich, dass der aktuelle Konflikt zu einer weiteren Verlangsamung der Reformen führt", so Olga Pindyuk.

Die Studie steht hier zum Download zur Verfügung.

Pressekontakt:

Andreas Knapp
Communications Manager
Tel. +43 680 13 42 785
knapp@wiiw.ac.at

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