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Antibiotikaminimierung: „Der wichtigste Ansatzpunkt ist die Tiergesundheit“

TECHNISCHE UNIVERSITÄT MÜNCHEN

PRESSEMITTEILUNG

Interview mit Prof. Julia Steinhoff-Wagner über Antibiotikaresistenzen

„Der wichtigste Ansatzpunkt ist die Tiergesundheit“

  • Neues Forschungsprojekt beschäftigt sich mit Antibiotikaminimierung in der Geflügelhaltung
  • Gesunde Tiere sind die wichtigste Vorsorge, um Antibiotikagaben zu reduzieren
  • Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die landwirtschaftliche Praxis steht im Fokus

Den Antibiotikaeinsatz minimieren, ohne das Tierwohl zu gefährden: Julia Steinhoff-Wagner, Professorin für Tierernährung und Metabolismus an der Technischen Universität München (TUM), beschäftigt sich in einem neuen Forschungsprojekt damit, wie dies in der Geflügelhaltung gelingen kann. Im Interview erklärt sie, wie der Antibiotikaeinsatz mit der Tiergesundheit und -ernährung zusammenhängt.

Zu Antibiotika-Resistenzen wurde schon viel geforscht. Was untersuchen Sie in Ihrem neuen Projekt?

Wir wollen erforschen, wie aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu Antibiotikaminimierung, Tiergesundheit und Resistenzverschleppung in die Praxis transportiert werden können. Im ersten Schritt tragen wir den bisherigen Forschungsstand zur Antibiotikaminimierung in der Geflügelhaltung zusammen. Anschließend testen wir, welche Konzepte bei Landwirt:innen gut funktionieren und an welchen Stellen nachgebessert werden muss. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Modell- und Demonstrationsvorhaben Tierschutz, das vorwiegend dem Wissenstransfer dient.

Welche erfolgreichen Beispiele der Antibiotikaminimierung nehmen Sie in den Blick?

Reinigung und Desinfektion sind Schlüsselfaktoren, um erfolgreich die Verschleppung von Erregern zwischen Tiergruppen zu verhindern. Die Tierdichte spielt eine weitere Rolle. Steht mehr Platz zur Verfügung, ist der Keimdruck geringer – das kennen Sie noch von der Corona-Prävention: Es hilft, mehr Abstand zu halten. Außerdem sollten gekaufte Tiere von verschiedenen Betrieben nicht gemischt werden. Es kommt sonst zu einem ähnlichen Effekt wie in Kindergärten: Die Kinder aus verschiedenen Familien treffen aufeinander und erkranken wegen der Vielfalt ihrer Mikroorganismen häufiger. Für Geflügel ist dies allerdings weniger relevant, da ohnehin im Normalfall alle Tiere von einem Lieferanten stammen. Der wichtigste Ansatzpunkt zur Vorsorge ist die Tiergesundheit. Sind die Tiere adäquat ernährt und leben in einer Umgebung ohne übermäßige Belastung mit krankmachenden Keimen und Stress, können sie problemlos mit geringen Keimlasten umgehen. Wenn die Tiere gar nicht erst erkranken, benötigen sie auch keine Antibiotika.

Welche Schwierigkeiten gibt es in der Praxis der Geflügelhaltung, diese Konzepte umzusetzen?

Bei Schweinen und Kälbern zeigen Studien, dass Landwirt:innen bestimmte Tätigkeiten und Verbesserungspotenziale oftmals wegen mangelnder Zeit nicht umsetzen können. Andere Dinge wiederum können sie nicht beeinflussen. Dazu gehört die Gesundheit der zugekauften Tiere, genauso wie die Futterqualität, die durch den Klimawandel zunehmend schwankt. Bei Naturprodukten wie diesen kann eine gleichbleibend hohe Qualität nur schwer gewährleistet werden. Der Klimawandel wird in dieser Hinsicht weitere Herausforderungen mit sich bringen. Zudem besteht auch die Möglichkeit, dass Probleme nicht bewusst wahrgenommen werden - von Betriebsblindheit hat sicher jeder schon einmal gehört. Welche Konzepte bei der Geflügelhaltung in der Praxis funktionieren, untersuchen wir in unserem neuen Projekt.

Wie entstehen und verbreiten sich deshalb Antibiotikaresistenzen auf den Höfen?

Bei Geflügel haben wir verschiedene Eintragswege. In einer Studie konnten wir zeigen, dass resistente Mikroorganismen von den Elterntieren auf die Küken übertragen werden und dann mit diesen auf den Hof kommen. Innerhalb des landwirtschaftlichen Betriebs können sich diese aber auch beispielsweise über Wasserleitungen und Futter zwischen Tieren verbreiten, wenn nicht ausreichend gereinigt wird. Vor allem in den Leitungen können sich resistente Keime verstecken. Vermeiden lässt sich dies mit dem in Deutschland üblichen Rein-Raus-Verfahren, bei dem alle Tiere eines Abteils, Stalls oder des gesamten Bestands gleichzeitig ein- und ausgestallt werden. Wenn der Stall in der Zeit zwischen den Tiergruppen leer steht, kann alles inklusive der Leitungssysteme gereinigt und desinfiziert werden. Sind Keime einmal im Bestand und die Tiere werden krank, sind Landwirt:innen gemäß dem Tierschutzgesetz verpflichtet, die Tiere zu behandeln. Aufgrund der großen Gruppen in der Geflügelhaltung müssen meist alle Tiere behandelt werden. Resistente Keime haben dann einen selektiven Vorteil. Sie überstehen den Kontakt mit Antibiotika und breiten sich weiter aus.

Wie verbreitet sind Antibiotika in der Geflügelhaltung?

Seit 2014 ist die Geflügelhaltung Teil des staatlichen Antibiotika-Monitorings. Das größere Bewusstsein für das Thema hat seitdem dazu beigetragen, dass bei Mastgeflügel weniger Antibiotika verabreicht wurden. Dennoch bewegt sich der Verbrauch im Vergleich zu anderen Nutztierarten immer noch auf höherem Niveau. Es ist wichtig, die Mengen weiter zu reduzieren. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Antibiotikaresistenzen auf für den Menschen relevante Krankheitserreger übertragen werden. Medikamente für die Behandlung dieser Krankheiten könnten dann ihre Wirkung verlieren. Damit uns diese erhalten bleiben, müssen alle Anstrengungen unternommen werden.

Weitere Informationen:

  • Prof. Julia Steinhoff-Wagner widmet sich in ihrer Forschung an der Professur für Tierernährung und Metabolismus mit einem ganzheitlichen Ansatz der Analyse von Prozesse in der Nutztierhaltung. Ihr vorrangiges Ziel ist es, die Stoffkreisläufe von der Futtererzeugung bis zu den tierischen Ausscheidungen umfassend zu erforschen und zu bewerten. Dabei liegt ihr besonderes Augenmerk auf den Herausforderungen im Bereich einer nachhaltigeren Futter- und Lebensmittelproduktion entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Dies schließt insbesondere Überlegungen zum Tierwohl und Verbraucherschutz ein. (https://www.mls.ls.tum.de/anm/).
  • Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft fördert das Projekt „Anpassung eines bestehenden Managementkonzeptes zur Minimierung des Antibiotikaeinsatzes und der Resistenzverschleppung in der Geflügelhaltung mit anschließendem Wissenstransfer“, kurz MiniAbeR, im Rahmen eines Modell- und Demonstrationsvorhabens Tierschutz. Projektpartnerin ist Dr. Celine Heinemann, Institut für Tierwissenschaften, Universität Bonn (https://www.mls.ls.tum.de/anm/arbeitsgruppe-tierernaehrung-und-metabolismus/forschung/miniaber/)
  • Das Hans Eisenmann-Forum für Agrarwissenschaften vernetzt rund 30 agrarwissenschaftlich orientierte Lehrstühle der TUM. Es bietet eine Plattform für die Kommunikation innerhalb der Universität, mit externen Partnern aus verschiedenen Bereichen der Agrarwissenschaft und Agrarwirtschaft sowie mit der Gesellschaft (www.hef.tum.de).

Zusatzinformationen für Redaktionen:

Fotos zum Download: https://mediatum.ub.tum.de/1657313

Wissenschaftlicher Kontakt:

Prof. Dr. Julia Steinhoff-Wagner

Technische Universität München

Professur für Tierernährung und Metabolismus

jsw@tum.de

https://www.mls.ls.tum.de/anm

Kontakt im TUM Corporate Communications Center:

Magdalena Eisenmann

Pressereferentin

Tel. +49 8161 71-6127

presse@tum.de

www.tum.de

Die Technische Universität München (TUM) ist mit mehr als 600 Professorinnen und Professoren, 50.000 Studierenden sowie 11.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine der forschungsstärksten Technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunkte sind die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Medizin, verknüpft mit den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die TUM handelt als unternehmerische Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Dabei profitiert sie von starken Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft. Weltweit ist sie mit dem Campus TUM Asia in Singapur sowie Verbindungsbüros in Brüssel, Mumbai, Peking, San Francisco und São Paulo vertreten. An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder wie Rudolf Diesel, Carl von Linde und Rudolf Mößbauer geforscht. 2006, 2012 und 2019 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings gehört sie regelmäßig zu den besten Universitäten Deutschlands.

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