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Ein Schleim für alle Fälle - Was Mucine in der Medizin können

TECHNISCHE UNIVERSITÄT MÜNCHEN

PRESSEMITTEILUNG

Was Mucine in der Medizin können

Ein Schleim für alle Fälle

Wir haben sie auf den Augen, auf der Zunge und im Magen: eine schützende Schleimschicht, die vor allem aus Mucinen besteht. Diese Moleküle binden Wasser und bilden so einen natürlichen Schmierstoff. Forschende der Technischen Universität München (TUM) entwickeln daraus Beschichtungen für Kontaktlinsen und Intubationsschläuche, Wundheilungspflaster für Zunge oder Darm und mehr.

Der natürliche Schmierstoff aus Schleimmolekülen – Mucinen – wirkt in unserem Körper nicht nur als mechanische Schutzschicht, sondern hält auch Bakterien und Viren ab. Oliver Lieleg, Professor für Biopolymermaterialien an der TUM, und sein Team entwickeln daraus Materialien für medizinische Anwendungen. Ausgewählte Projekte stellen wir hier vor.

Schleim gegen trockene Augen

Darum geht es: Das Team hat eine Beschichtung für Kontaktlinsen entwickelt, die die Reibung zwischen Linse und Auge reduziert und so Hornhautschäden vorbeugt.

Darum ist es wichtig: Rund vier Millionen Personen in Deutschland tragen Kontaktlinsen. Bei Patientinnen und Patienten mit trockenen Augen, bei denen der natürliche, schützende Gleitfilm zwischen Auge und Linse nicht ausreicht, kann das Tragen jedoch unangenehm sein und die Hornhaut sogar beschädigt werden. Daher hat das Team eine Beschichtung aus Mucinen entwickelt. Sie ist nur wenige Mikrometer dick, durchsichtig und schützt das Auge vor Schaden durch Reibung.

So funktioniert es: Das Team hat Mucin speziell gereinigt und damit weiche und harte Kontaktlinsen beschichtet. Getestet haben die Forschenden die beschichteten Linsen an präparierten Schweineaugen. Dank der Beschichtung ließen sich die Linsen deutlich besser benetzen und die Forschenden konnten unter dem Mikroskop zeigen, dass die Hornhaut auch nach Versuchen mit Belastung durch Reiben intakt blieb. Die Linsen blieben transparent und waren durch die Mucin-Schicht sogar resistent gegenüber Fettablagerungen. Diese kommen natürlicherweise im Tränenfilm vor und können bei längerem Gebrauch zu einer Trübung von Kontaktlinsen führen.

Publikationen: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36521413/; https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acsami.0c06847

Bildmaterial: https://mediatum.ub.tum.de/1743392

Schäden der Atemwege verhindern

Darum geht es: Die Forschenden haben eine Mucinbeschichtung für Intubationsschläuche entwickelt, um Gewebeschäden vorzubeugen.

Darum ist es wichtig: Künstliche Beatmung kann Leben retten, jedoch können durch Intubationsschläuche auch Komplikationen durch Gewebeschäden oder Infektionen auftreten. Eine Beschichtung könnte das Risiko reduzieren.

So funktioniert es: Das Team hat vier verschiedene Beschichtungen mit dem gleichen Verfahren auf Intubationsschläuchen angebracht und verglichen. Alle getesteten Optionen (auf Basis von Mucin, Hyaluronsäure, Polyethylenglycol oder Lysin-Dextran) haben die Reibung auf Luftröhrengewebe reduziert und Gewebeschaden verhindert. Ablagerungen aus Zellen, Bakterien oder Fetten verhinderte die Beschichtung aus Mucin jedoch deutlich besser.

Publikation: https://pubs.rsc.org/en/content/articlehtml/2024/bm/d3bm01985c

Bildmaterial: https://mediatum.ub.tum.de/1743393

Die Schleimschicht des Körpers erforschen

Darum geht es: Die Forschenden untersuchen im Modellsystem, was an den Mucusschichten im Körper passiert, wenn sie mit Nano- oder Mikropartikeln in Kontakt kommen. Sie haben beispielsweise geprüft, ob Feinstaub die Schutzwirkung beeinträchtigt. Zudem entwerfen sie Mikropartikelsysteme, um winzige Wirkstoffträger für Medikamente beim Einatmen gezielt an der Mucusschicht der Atemwege freizusetzen.

Darum ist es wichtig: Atmen wir winzige Staubpartikel, Krankheitserreger oder Schadstoffe ein, fängt die Schleimschicht unserer Atemwege einen Teil davon ab. Deswegen ist es für die Prävention, für Diagnosen und für medizinische Anwendungen zum einen wichtig zu verstehen, wie die schädlichen Teilchen mit der Schleimschicht interagieren. Zum anderen nutzen Forschende die feuchten Eigenschaften der Mucusschicht, um Medikamente so zu verpacken, dass sie gezielt an der Schleimschicht freigesetzt werden.

So funktioniert es: Die Forschenden arbeiten mit sogenannten Microfluidic-Chips, also einem Modellsystem, bei dem sie ein Gel aus Mucinen aufbringen. Damit untersuchen sie die Grenzflächen zwischen der Schleimschicht und Flüssigkeiten, wie im Darm, oder der Schleimschicht und der eingeatmeten Luft, wie in den Bronchien.

Mit dem Modellsystem haben sie untersucht, was passiert, wenn die Mucinschicht mit Feinstaub belastet ist. „Wenn die Mucinschicht mit Feinstaub durchsetzt ist, verschlechtert sich ihre Barrierewirkung. Die winzigen Partikel besetzen im Mucingel Bindestellen, die dafür gedacht sind, andere Moleküle abzufangen“, sagt Oliver Lieleg.

Im aktuellsten Projekt haben die Forschenden der TUM gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der LMU winzige Verpackungen für Wirkstoffe entwickelt, die sich einatmen lassen. Dazu haben sie kleine Kügelchen (Mikropartikel) entworfen, mit denen sie die noch kleineren Wirkstoffträger (Nanopartikel) umhüllen. Für den Andock- und Zerfallprozess am feuchten Mucus sind die Ladung und die Struktur der Partikel entscheidend. Von den getesteten Materialien war die Verpackung aus Lysin am erfolgreichsten, da diese Aminosäure mit ihren positiven Ladungen am besten am negativ geladenen Mucus gehaftet hat.

Publikation zu inhalierbaren Wirkstoffträgern: https://doi.org/10.1002/anbr.202300153

Kooperation von TUM und Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)

Publikation zu Feinstaub: https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acsanm.2c03887

Bildmaterial: https://mediatum.ub.tum.de/1743394

Wunden verschließen und heilen

Darum geht es: Die Wundheilung beschleunigen, Entzündungen vorbeugen und sich zuletzt von selbst auflösen – all dies kann ein Prototyp eines multifunktionalen Wundheilungspflasters auf Mucin-Basis.

Darum ist es wichtig: Bei Verletzungen von Weichgewebe wie der Zunge oder Oberflächen wie dem Darm können keine konventionellen Pflaster angebracht werden. Daher ist eine Alternative nötig. Das Wundheilungspflaster auf Mucin-Basis hält auf feuchtem Weichgewebe, ohne es zu beschädigen, beugt Entzündungen vor, kann Wirkstoffe zielgerichtet freisetzen und löst sich am Ende von selbst auf. Letzteres kann besonders für einen Einsatz nach Operationen hilfreich sein, um Wunden im Körperinneren zu schützen, die nach dem Verschließen nicht mehr erreichbar sind.

So funktioniert es: Das Pflaster besteht aus zwei Lagen. Auf der oberen Seite sind die Mucine enthalten, die antibakteriell wirken. Zudem verleiht ein biologisch abbaubarer Kunststoff dem Pflaster eine gewisse Stabilität. Unten sind unter anderem Hyaluronsäure, bekannt für ihre wasserbindenden und wundheilungsfördernden Eigenschaften, und Dopamin enthalten. Letzeres sorgt für die Haftung auf feuchtem Gewebe. Die Forschenden können auch Wirkstoffe wie Antibiotika in die untere Lage integrieren, die dann zur Wunde hin abgegeben werden.

Aktuell gibt es einen Prototyp des Pflasters für Laborzwecke. Das Team arbeitet derzeit daran, die Zusammensetzung der Komponenten so zu ändern, dass der dünne Film stabiler wird, um das Pflaster für weitere Anwendungsfälle anzupassen. Die Forschenden möchten zudem einen Wundheilungsfaden mit Mucin-Beschichtung zum Nähen von Wunden entwickeln.

Artikel zum Thema: https://www.tum.de/aktuelles/alle-meldungen/pressemitteilungen/details/multifunktionales-pflaster-zur-wundheilung

Publikation: https://doi.org/10.1002/adfm.202105721

Bildmaterial: https://mediatum.ub.tum.de/1659268

Wie geht es weiter?

Das Team entwickelt und optimiert die Materialien über mehrere Jahre hinweg und testet Prototypen unter Laborbedingungen. Mit diesen prüfen die Forschenden die Funktionalität in Zellkultur oder an tierischen Gewebeproben. Auch bestimmte Parameter wie Sterilisierbarkeit, die über den Grundlagenbereich hinausgehen, aber für einen späteren Einsatz notwendig sind, testen sie. Für einen zukünftigen Einsatz der Anwendungen bei Patientinnen und Patienten sind noch weitere Schritte und klinische Studien bis hin zu einer klinischen Zulassung nötig.

Weitere Informationen:

Prof. Oliver Lieleg forscht am Munich Institute of Biomedical Engineering (MIBE), einem Integrativen Forschungsinstitut der TUM, und am Center for Functional Protein Assemblies (CPA) der TUM. Am MIBE entwickeln und verbessern Forschende aus der Medizin, den Natur- und Ingenieurwissenschaften und der Informatik gemeinsam Verfahren zur Prävention, Diagnose und Behandlung von Krankheiten. Die Aktivitäten reichen von der Untersuchung grundlegender wissenschaftlicher Prinzipien bis zu deren Anwendung in medizinischen Geräten, Medikamenten oder Computerprogrammen. https://www.bioengineering.tum.de/

Zusatzinformationen für Redakteure:

Wissenschaftlicher Kontakt:

Prof. Dr. Oliver Lieleg

Technische Universität München

Professur für Biopolymermaterialien

oliver.lieleg@tum.de

https://www.mae.ed.tum.de/bme/startseite/

Kontakt im TUM Corporate Communications Center:

Carolin Lerch

Pressereferentin

Tel. 089 289 10808

presse@tum.de

www.tum.de

Die Technische Universität München (TUM) ist mit rund 650 Professuren, 52.000 Studierenden und 12.000 Mitarbeitenden eine der weltweit stärksten Universitäten in Forschung, Lehre und Innovation. Ihr Fächerspektrum umfasst Informatik, Ingenieur-, Natur- und Lebenswissenschaften, Medizin, Mathematik sowie Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Sie handelt als unternehmerische Universität und sieht sich als Tauschplatz des Wissens, offen für die Gesellschaft. An der TUM werden jährlich mehr als 70 Start-ups gegründet, im Hightech-Ökosystem München ist sie eine zentrale Akteurin. Weltweit ist sie mit dem Campus TUM Asia in Singapur sowie Büros in Brüssel, Mumbai, Peking, San Francisco und São Paulo vertreten. An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder:innen wie Rudolf Diesel, Carl von Linde und Rudolf Mößbauer geforscht. 2006, 2012 und 2019 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings wird sie regelmäßig als beste Universität in der Europäischen Union genannt.

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