Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.
Nationalpreisträger 2016 ist der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
"Eine friedliche Zukunft braucht Erinnerung"/
Gewürdigt wird die internationale Gedenk-, Bildungs- und Jugendarbeit
Berlin (ots)
Die Deutsche Nationalstiftung hat heute, Mittwoch, den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. für seine Gedenk-, Bildungs- und Jugendarbeit mit dem Deutschen Nationalpreis 2016 ausgezeichnet. Zur offiziellen Verleihung des mit 50.000 EUR dotierten Preises waren rund 400 Vertreter des öffentlichen Lebens in die Französische Friedrichstadtkirche in Berlin gekommen.
Der 1919 gegründete Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. pflegt in 45 Staaten auf 832 Kriegsgräberstätten die Gräber von 2,7 Millionen Soldaten und zivilen Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft.
Nach 1991 hat er in Ost-, Mittel- und Südeuropa 330 Friedhöfe des Zweiten Weltkriegs und 188 Anlagen aus dem Ersten Weltkrieg wieder hergerichtet und 860.000 Kriegstote auf 82 Kriegsgräberstätten umgebettet. Jährlich werden es ca. 30.000 mehr.
Unter dem Leitwort "Versöhnung über den Gräbern - Arbeit für den Frieden" organisiert er internationale Jugend-Workcamps in 20 Ländern und erreicht mit seiner vielfältigen Jugendarbeit jährlich ca. 20.000 Jugendliche.
Krieg kennen Jugendliche meist nur aus dem Fernsehen. Der Volksbund appelliert mit seiner Gedenk-, Bildungs- und Jugendarbeit an die Verantwortung für den Frieden, der nicht selbstverständlich ist. Kriegsgräber sind Symbole für grenzenloses Leid unzähliger Menschen, zugefügt und erlitten im Namen von Nationen. Kriegsgräber gemahnen an Idealismus und Tapferkeit ebenso wie an Verblendung, verbrecherische Absichten, an das Gute und das Böse im Menschen. Kriegsgräber können deshalb weder Orte allgemeiner Heldenverehrung noch allgemeiner Schuldzuweisungen sein.
Kriegsgräber sind Orte des Gedenkens und der Erschütterung. Sie zeigen, dass eine friedliche Zukunft Erinnerung braucht. Sie geben jungen Menschen Orientierung bei ihrer Suche nach Sinn, Maß und Mitte. Sie erleichtern die Erkenntnis, dass auch eine dem Frieden der Welt verpflichtete freiheitliche Demokratie wie Deutschland Selbstbehauptungswillen braucht und nicht nur bei der Bundeswehr auf Tapferkeit zur Verteidigung der eigenen Werte angewiesen ist. Die Deutsche Nationalstiftung würdigt die Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit der Verleihung des Deutschen Nationalpreises 2016.
In seiner Begrüßung und Einführung sagte Staatsrat a.D. Dirk Reimers, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Nationalstiftung u. a.:
Soldaten sterben aber nicht als Privatpersonen, sondern als Angehörige einer Nation und für ihr Land. Deshalb sind Kriegsgräber völkerrechtlich auf Dauer angelegt als Zeugnisse der Geschichte und Orte öffentlichen Gedenkens über die zeitlich begrenzte individuelle Trauer hinaus. (...) Heldenverehrung verbietet sich für uns Deutsche mit unserer mehrfach gebrochenen Geschichte ohnehin. Sicherlich: Fälle überragenden Mutes und großer Tapferkeit gab es bei den deutschen Soldaten in allen Kriegen zuhauf. Die mag man Helden nennen. Aber ebenso gab es Fälle von Feigheit und von Bösartigkeit und es gab Verbrechen. Uniformen machen keine besseren Menschen. Auf den Kriegsgräberstätten liegen Gerechte und Ungerechte. (...) Der Volksbund kämpft insbesondere mit seiner Jugendarbeit gegen das Vergessen unter dem Motto "Versöhnung über den Gräbern - Arbeit für den Frieden". Versöhnung setzt die rückhaltlose Auseinandersetzung mit dem Geschehenen voraus. Die Beteiligten wollen nicht vergessen, aber sie wollen der schlimmen Vergangenheit nicht auch noch die Zukunft opfern. (...) Die Botschaften unserer Kriegsgräber dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Zum Beispiel die Botschaft der Grabsteine deutscher jüdischer Soldaten auf den Kriegsgräbern des Ersten Weltkriegs mit der hebräischen Inschrift "Möge seine Seele eingebunden sein in den Kreis der Lebenden". Für den Zweiten Weltkrieg fehlen solche Grabsteine, weil die Nationalsozialisten den Seelen keinen Raum ließen und die Überlebenden ermordeten. (...) Die Botschaft aller Kriegsgräber lautet deshalb, dass Frieden nicht naturgegeben ist und dass wir etwas tun müssen, um ihn zu erhalten. In einer Demokratie heißt das, Verantwortung zu übernehmen, sich zu engagieren, das Prinzip des Politischen zu unterstützen, Dialogfähigkeit zu schaffen und zu erhalten nach dem Grundsatz "Wandel durch Annäherung", das Wesen des Kompromisses als Alternative zur Gewalt wertzuschätzen, unsere demokratischen Institutionen nicht zu verachten, Idealismus von manipulierbarer Massenemotion zu unterscheiden, d.h. im Sinne von Adam Smith "nüchterne Vernunft als Gegenmittel gegen das Gift der Begeisterung" zu pflegen und nach Kant den Mut zu haben, sich des eigenen Verstandes zu bedienen". (...) Wir brauchen Vernunft und Maß und Mitte und wir brauchen die Erinnerung an das frühere Schicksal unserer und das Schicksal anderer Nationen bis in die jüngste Gegenwart.
In seiner Laudatio (es gilt das gesprochene Wort) sagte Prof. Dr. Jan-Philipp Reemtsma u. a.:
Volkstrauertag - Heldengedenktag - ich bin, ich muss es zugeben, erst bei der Vorbereitung für diesen Tag auf die Information gestoßen, dass "Heldengedenktag" nicht die ursprüngliche Bezeichnung war, sondern "Volkstrauertag", und die Rückkehr zu diesem vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zunächst gewählten Namen ein Akt der Rezivilisierung nach 1945 gewesen ist. (...) Ein Bekenntnis nicht nur schlechthin zum Frieden, zum Gedenken derer, die in Krieg und Gefangenschaft umkamen, sondern auch derer, die als Widerständler hingerichtet oder in Konzentrationslagern ermordet wurden, die die "weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurden" gehört zu dem "Totengedenken", das nun bei offiziellen Veranstaltungen des Volksbunds gesprochen wird. - Dass gleichwohl eine Einrichtung wie der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge auch - und besonders vor dem Hintergrund der Trimmung, die er zwischen 1933 und 1945 erfuhr - anziehend für Menschen war, die speziell diesen Teil seiner Geschichte für attraktiv hielten, konnte nicht ausbleiben. 2007 - sehr spät, aber immerhin doch - kam es zu einem Unvereinbarkeitsbeschluss: Mitglieder der NPD können nicht mehr Mitglieder des Volksbunds sein. 2008 wurde eine neue Satzung des Volksbunds verabschiedet, in der es in §2.2 heißt: zu den Aufgaben des Volksbunds gehöre "für die Ruhestätten des deutschen Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft im In- und Ausland zu sorgen, er kann sich auch der Ruhestätten anderer Kriegstoter annehmen". Das ist eine bedeutsame Erweiterung der klassischen Regel, dass in den Pausen zwischen den Schlachten das Feuer eingestellt wird, damit beide Seiten die "eigenen Toten" bergen können. - "Great King / I come to thee for charitable license, / That we may wander o'er this bloody field / To look our dead, and then to bury them", sagt in Shakespeares "Henry V" der französische Herold nach der Schlacht von Agincourt zu Heinrich. Die zitierte Kann-Bestimmung hebt die Regel, dass jeder nur für die Toten der Armee des eigenen Landes zuständig sei, tendenziell auf: im Tode gelten keine Fronten mehr, jeder Tote geht jeden etwas an - potentiell jedenfalls. Dieser Satzungsbestimmung hat der Volksbund praktisch im Jahre 2000 vorgegriffen, als er das sogenannte "Riga-Komitee" gründete, dessen Aufgabe es ist, der aus Deutschland nach Riga verschleppten und dort ermordeten Juden zu gedenken. Es gibt zwei Gedenkstätten: im Wald von Bikernieki und im Wald von Rumbula. Im Ergebnis gilt das Gedenken an diesen Orten einmal deutschen Zivilisten, jüdischen Opfern und jüdischen Zivilisten anderer Staaten. Das Riga-Komitee ist (nach meinen Informationen) bisher eine einmalige Initiative gewesen. Aber eine so bemerkenswerte, dass es wohl lohnte, darüber nachzudenken, wie in dieser Richtung weiterzugehen wäre, zumal die ursprüngliche Arbeit ja prinzipiell abgeschlossen ist. Es gibt ein nicht unermesslich aber ungeheuer großes Tätigkeitsfeld, das zwar bereits von internationalen Organisationen betreten worden ist, das sich aber in den erweiterten Aufgabenradius des Volksbunds vorbildlich fügen würde. (...) Einige von Ihnen erinnern sich daran, dass es vor 20 Jahren durch die Presse ging: man hatte mich vor meiner Haustür zusammengeschlagen, verschleppt, meine Familie um ein Lösegeld erpresst, und die Angelegenheit zog sich hin - 33 Tage lang, in irgendeinem Keller, an der Kette. Ich hatte also Zeit, über allerlei nachzudenken. Nicht zuletzt über den Tod - versteht sich. Vorher war es mir, wie ich meinte, recht gleichgültig gewesen, was aus meinem Körper nach meinem Tod (wie immer der auch aussehen mochte) werden würde. Aber irgendwann war mir plötzlich klar: ich möchte nicht erschlagen im Wald liegen. Ich möchte, dass es einen Ort gibt, zu dem jemand, wenn es ihr oder ihm danach ist, gehen kann. Vielleicht eine Blume hinlegen. Oder bloß - wie soll man es sagen?: innehalten. Ich hatte für die Gräber meiner Familie - Halbbrüder, Vater, Mutter (sie starb wenige Wochen vor der Entführung) selbstverständlich sorgen lassen, aber nach diesen Gedanken, dachte ich, dass ein bloßer bezahlter Pflegedienst zu wenig sei. Wenn ich phantasiere, dass einmal jemand an mein Grab tritt, dann ist das irgendetwas wie ein Generationenvertrag: ich muss in Vorleistung treten. Seitdem besuche ich die Gräber, wenn die Daten rufen. Aber ein Grab ist leer. Bis beute, aber nicht mehr lange. Der älteste meiner Halbbrüder ist in der Ukraine erschossen worden, in den ersten Wochen des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion. Ich habe irgendwann erfahren, dass sein Grab identifiziert worden ist. Eine Weile habe ich gemeint, dass das nun eben so ist. Einer wird erschossen, er wird begraben (wenn er denn begraben wird), dann liegt er eben dort. Aber in den Jahren, die seit dieser Nachricht vergangen sind, und in denen ich aus den Gründen, die ich genannt habe, immer wieder auf den Friedhof gegangen bin, habe ich eben auch immer wieder vor einem leeren Grab gestanden. Eine Granitplatte, Name, Geburtsdatum, Todesdatum. (...) 1941 Ukraine, Dubno. Sturm auf eine gut verteidigte Kaserne. Schüsse in den Arm und den Bauch. Er liegt mehr als eine Stunde lang auf der Straße, wird geborgen, in ein Lazarett gebracht, er wusste, wie es um ihn stand - er starb in der Nacht. 20 Jahre alt. - Irgendwann habe ich mir gedacht, er soll bei den anderen liegen. Warum auch immer. Weil es richtig ist, irgendwie. Ohne die Arbeit des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge könnte ich seine Knochen nicht nach Hamburg bringen. Dafür möchte ich danken. Das ist der Grund, weshalb ich hier spreche.
Der Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Markus Meckel, dankte der Deutschen Nationalstiftung für die Auszeichnung mit dem Deutschen Nationalpreis. "Es ist eine große Anerkennung und Bestätigung für unsere - in der Öffentlichkeit oftmals zu wenig bekannte - wichtige Arbeit."
Meckel verbindet mit dem Preis die Hoffnung, dass der Volksbund mit seiner Neuaufstellung für das 21. Jahrhundert nun auch stärker in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird und sich neue Partner in Politik und Gesellschaft erschließen. Und auch, dass deutsche Politiker Kriegsgräberstätten besuchen und sich somit ganz bewusst allen Seiten der deutschen Geschichte stellen - so wie es jüngst Bundeskanzlerin Merkel in Consenvoye gemacht hat - sei laut Meckel enorm wichtig. "Wir stehen vor der Herausforderung, Kriegsgräberstätten von Orten der individuellen Trauer zu Orten des öffentlichen Gedenkens und der historisch-politischen Bildung zu entwickeln und dieses Gedenken in die nächsten Generationen zu tragen", erklärte der Volksbund-Präsident. Gemeinsam mit den Partnerorganisationen aus Frankreich und Belgien sei deshalb nun eine Initiative geplant, Kriegsgräberstätten als Weltkulturerbe der UNESCO anerkennen zu lassen und Friedhöfe mit Ausstellungen und Installationen zu versehen, um die Geschichte dieser Orte auch für die nachfolgenden Generationen erfahrbar zu machen. "Das ist ein zentraler Baustein unserer zukünftigen Ausrichtung und Arbeit", erläutert Meckel. "Denn bis heute wird der Volksbund bis zu 70 Prozent von Spenden und Zuwendungen der Erlebnisgeneration, Kriegsteilnehmer und deren Familienmitgliedern finanziert. Das wird nicht so bleiben. Deshalb ist eine unserer vorrangigsten Aufgaben, das Gedenken an Kriegstote so zu gestalten, dass auch den seit Jahrzehnten im Frieden lebenden jüngeren Generationen ein zeitgemäßes Gedenken möglich ist und sie dies auch selbst mitgestalten. Denn nur wenn es uns gelingt, auch jüngere und mittlere Altersgruppen zu erreichen, kann die Zukunft des Gedenkens an die Kriegstoten sichergestellt werden."
Ansgar Salzwedel, Vorsitzender des Bundesjugendarbeitskreises des Volksbundes, ergänzte:
"Die Verleihung des Deutschen Nationalpreises an den Volksbund für seine Bildungs-, Erinnerungs- und Gedenkarbeit freut mich außerordentlich. Die Auszeichnung ist ein deutlicher Beleg dafür, dass unsere Arbeit auch im 21. Jahrhundert noch von großer Relevanz ist und keine auslaufende Tätigkeit für die Erlebnisgeneration des Zweiten Weltkrieges darstellt. Gerade in der Jugend-, Schul- und Bildungsarbeit zeigt sich oftmals, dass wir über die Herangehensweise mit Kriegsgräberstätten an das Thema Krieg und Gewaltherrschaft jungen Menschen einen plastischen Zugang zu dem Thema eröffnen können, der sie für dieses Thema sensibilisiert, wie es etwa Bilder oder Texte häufig nicht können. Einen besonderen Wert hat diese Arbeit dann, wenn wir mit internationalen Jugendgruppen auf Kriegsgräberstätten arbeiten. Hier können Jugendliche unterschiedlicher Herkunft und Prägung sich Europas Geschichte gemeinsam erschließen und erkennen, dass Frieden leider keine Selbstverständlichkeit ist, sondern etwas, wofür wir Tag für Tag arbeiten müssen. Wir sehen uns durch den Deutschen Nationalpreis in dieser Arbeit bestärkt und hoffen, dass auch die Aufmerksamkeit im Rahmen dieser Auszeichnung dazu beiträgt, unsere Arbeit einem breiteren Publikum zu eröffnen."
Weitere Informationen sowie die Reden im Wortlaut auf www.nationalstiftung.de und www.volksbund.de
Pressekontakt:
Deutsche Nationalstiftung, Dirk Reimers, Tel.: 040 4133 6753 und
Pressebüro BKM GbR, zuständig: Ludwig Rademacher, Tel.: 0178 414 8509
Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge: Hilke Vollmer, Tel.: 0152
33830114
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