Philippsburg 2: Atome spalten ohne Sicherheitsgurt
Berlin (ots)
Pressemitteilung
Staatsanwaltschaft Karlsruhe lässt Verletzung zentraler Sicherheitsgrundsätze im Atomkraftwerk Philippsburg 2 (KKP 2) ungeahndet - Deutsche Umwelthilfe warnt vor schleichender Aushöhlung der Reaktorsicherheit in Deutschland - Atomexperte Renneberg: "geltendes Sicherheitskonzept grundlegend uminterpretiert" - Stuttgarter Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) soll Sachverhalt erneut überprüfen
Ein Verstoß gegen zentrale Sicherheitsgrundsätze im baden-württembergischen Atomkraftwerk Philippsburg 2 soll ungeahndet bleiben. Das ergibt sich nach Überzeugung der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) unmittelbar aus der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe zu einem Ermittlungsverfahren gegen den Betreiber des Atomkraftwerks vom 1. September diesen Jahres. Die DUH hatte im April Strafanzeige wegen des Verdachts des illegalen Betriebs einer kerntechnischen Anlage (gemäß § 327 StGB) gestellt.
"Nach Lektüre der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe sind wir mehr denn je überzeugt, dass der Reaktor in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 2009 mehr als zehn Stunden lang vom Betreiber mit quasi offenem Sicherheitsbehälter gefahren wurde. Wenn so etwas ungeahndet bleibt und Schule macht, rührt das an den Kern der Sicherheitsphilosophie von Atomkraftwerken in Deutschland", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. Dies sei umso kritischer zu bewerten als die nachlassende öffentliche Aufmerksamkeit nach der Entscheidung über den Atomausstieg ohnehin das Risiko einer laxeren Haltung gegenüber den Sicherheitsnotwendigkeiten der alternden und damit zunehmend störanfälligen Atomkraftwerke in sich berge.
Konkret hatte der Betreiber des Atomkraftwerks Philippsburg 2 im Mai 2009 im Zuge der Reparatur einer Löschanlage bei laufendem Reaktor zwei so genannte Gebäudeabschlussarmaturen mehr als zehn Stunden lang geöffnet und zusätzlich von der Stromversorgung getrennt. Die Armaturen sollen im Fall eines Lecks im Reaktorsystem verhindern, dass Radioaktivität aus dem Sicherheitsbehälter des AKW nach außen dringt und die Umgebung verseucht. Der Vorgang war der DUH nur aufgrund eines anonymen Schreibens bekannt geworden, woraufhin die Umweltorganisation die Strafanzeige stellte, um den Vorgang insgesamt aufzuklären.
Nach der überraschenden Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat die DUH Wolfgang Renneberg vom Bonner Büro für Atomsicherheit um Überprüfung des Sachverhalts und der Begründung der staatsanwaltschaftlichen Verfügung gebeten. Der Sicherheitsexperte, der von 1998 bis zum Regierungswechsel 2009 die Reaktorsicherheitsabteilung im Bundesumweltministerium leitete, kommt in seiner Kurzanalyse zu dem Ergebnis, dass die Staatsanwaltschaft bei ihrer Entscheidung "Grundlagen des Anlagenschutzes" verkannt habe. Mehr als zehn Stunden seien beide Gebäudeabschlussarmaturen bei laufendem Reaktor geöffnet gewesen und hätten in dieser Zeit im Falle eines Störfalls auch nicht kurzfristig abgesperrt werden können. Die Staatsanwaltschaft habe bei ihrer Entscheidung fälschlich Sicherheitsregeln, die beim zufälligen Ausfall einer Komponente des Sicherheitssystems gelten, auf die hier erfolgte bewusste Abschaltung nicht nur eines, sondern sogar zweier "redundanter" Systeme angewandt. Renneberg: "Diese Argumentation führt das Sicherheitskonzept eines Atomkraftwerks ad absurdum." Übertragen auf den Alltag wäre es demnach "einem Autofahrer erlaubt, seinen funktionsfähigen Sicherheitsgurt eine Woche lang nicht anzulegen, sofern es eine Regel gibt, wonach schadhafte Sicherheitsgurte spätestens nach einer Woche auszuwechseln seien", erläuterte Renneberg. Beängstigender als die Fehleinschätzung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe sei jedoch das Verhalten des TÜV Süd als kerntechnischer Gutachter und des baden-württembergischen Umweltministeriums als Atomaufsichtsbehörde. Beide hätten mit ihren Stellungnamen zu dem Vorfall die Staatsanwaltschaft erst auf die falsche Spur gelenkt und damit "das bislang geltende Sicherheitskonzept in deutschen Atomkraftwerken grundlegend uminterpretiert", so Renneberg.
Die DUH hat Rennebergs Analyse umgehend dem neuen baden-württembergischen Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) zugestellt und ihn in einem Schreiben gebeten, "den Sachverhalt auf Grundlage der Stellungnahme des Büros für Atomsicherheit erneut zu prüfen und zu bewerten". DUH-Bundesgeschäftsführer Baake: "Im Bereich einer Hochrisikotechnologie darf es keine Abstriche bei Fragen der Sicherheit geben. Das gilt ganz besonders für Altreaktoren in ihrer Restlaufzeit."
Die Stellungnahme des Büros für Atomsicherheit und weitere Informationen finden Sie hier: http://www.duh.de/pressemitteilung.html?&tx_ttnews[tt_news]=2708
Pressekontakt:
Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer, Deutsche Umwelthilfe (DUH);
Mobil: 0151 55016943, Tel.: 030 2400867-0, E-Mail: baake@duh.de
Wolfgang Renneberg, Büro für Atomsicherheit, Bonn,
Mobil: 0151 40306928
Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik und Presse, Deutsche Umwelthilfe
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