Deutsche Umwelthilfe begrüßt Beschluss des VG Schleswig: Europäischer Gerichtshof entscheidet über Abschalteinrichtungen und über Klagerechte der Deutschen Umwelthilfe im Dieselskandal
Berlin (ots)
Entscheidung hat grundsätzliche Bedeutung für 9,9 Millionen Besitzer von Diesel-Pkw mit unwirksamer Abgasreinigung - Nach Intervention des Bundesverkehrsministeriums wurde 2017 Umweltverbänden kein Klagerecht zur Überprüfung rechtswidriger Pkw-Zulassungen gewährt - EuGH-Vorlage des VG Schleswig soll nun die Frage klären, inwieweit diese Einschränkung der Klagerechte von Umweltverbänden gegen Unionsrecht verstößt - In der anhängigen Klage möchte die DUH die Unzulässigkeit von sogenannten Thermofenstern klären lassen - Sollte der EuGH die Klageberechtigung der DUH in dieser Sache bestätigen, könnten Millionen Software-Updates als rechtswidrig eingestuft und Hardware-Updates zwingend notwendig werden - DUH rechnet in diesem Präzedenzfall noch in 2020 mit einer Entscheidung für alle Automobilhersteller, die mit Billigung des Kraftfahrt-Bundesamtes bei winterlichen Außentemperaturen Abschalteinrichtungen verwenden
Im Verfahren der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Freigabebescheids für den mit illegaler Software ausgestatteten VW Golf mit dem Motor EA 189 hat das Verwaltungsgericht Schleswig mehrere Vorabentscheidungsfragen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gestellt. Die DUH hatte geklagt, weil das Modell auch nach den Software-Updates noch weitere Abschalteinrichtungen verwendet, die bei Temperaturen unter +10 Grad Celsius die Abgasreinigung drastisch verringert - sogenannte Thermofenster.
Der EuGH soll nun klären, ob die Einschränkung des Klagerechts der Umweltverbände, wenn diese die Rechtswidrigkeit einer Produktzulassung rügen, durch die Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes im Jahr 2017 zu Unrecht erfolgte. Obwohl die dafür geltenden europarechtlichen Vorgaben eindeutig sind, hatte seinerzeit der Gesetzgeber den Umweltverbänden in dem damals novellierten Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz bei rechtswidrigen Produktgenehmigungen, wie die für Autos, ein eindeutiges Klagerecht abgesprochen. Vorausgegangen war eine Intervention des damaligen Staatssekretärs im Bundesverkehrsministerium gegenüber dem Bundesumweltministerium.
Das VG Schleswig hat daher dem EuGH die Frage vorgelegt, ob sich ein solches Klagerecht unmittelbar aus dem Unionsrecht ergibt, was die Rechtsauffassung der DUH bestätigen würde, wonach den Umweltverbänden weitreichende Klagerechte zustehen. Nach dem Recht der Europäischen Union und der Aarhus-Konvention, die Deutschland ebenfalls unterzeichnet hat, sind solche Klagerechte vorzusehen.
Das VG Schleswig hat dem EuGH darüber hinaus Fragen zur Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen vorgelegt. Im Ergebnis ist damit zu klären, ob bloße Software-Updates ohne hinreichende Minderungswirkung bei den realen Stickoxid-Emissionen bei Fahrzeugen, in denen Hersteller illegale Abschalteinrichtungen verbaut hatten, ausreichend waren, um die Rechtskonformität der Fahrzeuge herzustellen. Die DUH ist zuversichtlich, dass die nun vom EuGH vorzunehmende Prüfung die Rechtsauffassung der DUH bestätigt, dass die vom KBA den Dieselkonzernen gestatteten temperaturgesteuerten Abschalteinrichtungen nicht rechtskonform sind.
Hardware-Nachrüstungen aller betroffenen Fahrzeuge auf Kosten der Hersteller könnten die Konsequenz sein. Da praktisch alle Diesel-Konzerne die durch das KBA akzeptierten Thermofenster verwenden, können die Auswirkungen weit über VW hinausgehen.
"Es ist ein großer Erfolg für unsere Arbeit, dass endlich die rechtwidrige Beschränkung unserer Klagebefugnis im Interesse der von den Dieselkonzernen geschädigten Fahrzeughalter vom Europäischen Gerichtshof geklärt wird. Mehr noch: Erstmals soll sich der Europäische Gerichtshof dazu äußern, ob es zulässig ist, Betrugsdiesel mit unwirksamen und im Einzelfall sogar die Realemissionen erhöhenden Software-Updates weiter zuzulassen. Nach wie vor sind die Dieselfahrer bei der Vertretung ihrer Interessen auf sich gestellt. Dies gilt noch mehr für die Menschen, die unter den gesundheitlichen Folgen des anhaltenden Betrugs leiden. Denn die Konsequenz ist die anhaltend hohe Belastung mit dem Dieselabgasgift Stickstoffdioxid in vielen deutschen und europäischen Städten. Es ist für uns nicht nachvollziehbar, wie eine deutsche Behörde diesen anhaltenden Missstand einfach hinnehmen kann. Wir hoffen auf eine Bestätigung unserer Klagerechte, um sowohl die gesundheitlichen als auch die verbraucherschutzrechtlichen Interessen endlich durchzusetzen", betont Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.
"Der Europäische Gerichtshof wird die Reichweite der Klagerechte von Umweltverbänden klären. Legt man seine jüngste Rechtsprechung zugrunde, ist zu erwarten, dass er das Klagerecht auch dann bestätigen wird, wenn es sich gegen Produktzulassungen wie die Typgenehmigung von Autos richtet. Die Rechtmäßigkeit aller vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeuge ist daher wieder komplett offen. Da die DUH gegen alle Freigabebescheide des KBA Widerspruch eingelegt hat, wären alle vom Dieselskandal betroffenen Autos weiterhin illegal auf den Straßen, wenn der EuGH die Thermofenster als rechtswidrig ansieht", so Rechtsanwalt Remo Klinger, der die DUH in diesem Verfahren vertritt.
Die DUH hatte im April 2018 vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht eine Untätigkeitsklage gegen das KBA eingereicht, welche sich gegen die Freigabe bloßer Software-Updates zur Herstellung der Rechtmäßigkeit der Dieselautos richtet. In mehreren am 13. Dezember 2017 entschiedenen Verfahren war das VG Schleswig der Auffassung, dass die DUH nicht klageberechtigt sei. Gegen diese Urteile werden noch Berufungsverfahren vor dem OVG Schleswig geführt. Wenige Tage nach den erstinstanzlichen Urteilen des VG Schleswig urteilte aber der EuGH in einem österreichischen Grundsatzurteil (Urt. v. 20.12.2017 - Rs. Protect, C-664/15), dass die Klagerechte der Verbände sehr weit zu verstehen sind. Das VG Schleswig lässt nun prüfen, ob dies auch für das deutsche Recht Konsequenzen hat.
Links: Beschluss des VG Schleswig: http://l.duh.de/p191126
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