Diesel-Abgasskandal 2.0: Deutsche Umwelthilfe stellt Expertengutachten vor mit acht bisher unbekannten Abschalteinrichtungen in Euro 6 Mercedes-E-Klasse
Berlin (ots)
- Brisantes Kfz-Software-Gutachten von Felix Domke enthüllt detailliert die Wirkungsweise von bisher unbekannten softwaregesteuerten Abschalteinrichtungen, die die Wirksamkeit der Abgasreinigung im realen Straßenbetrieb drastisch reduzieren
- DUH-Bundesgeschäftsführer Resch sieht den Daimler-Konzern damit überführt, neben temperaturgesteuerten auch weitere illegale "defeat devices" einzusetzen
- Die Folge: Auf dem Prüfstand werden Grenzwerte eingehalten, im realen Fahrbetrieb steigen die Stickoxid-Emissionen bis zu 500 Prozent an
- DUH fordert von neuer Bundesregierung amtlichen Rückruf für alle Diesel-Pkw mit immer noch aktiven Abschalteinrichtungen mit Reparatur der Abgaskatalysatoren
Der Stuttgarter Daimler-Konzern ist tiefer in den Diesel-Abgasskandal verstrickt als bislang bekannt. Das enthüllt ein Gutachten, das die Deutsche Umwelthilfe (DUH) morgen ausführlich der Öffentlichkeit vorstellen wird. Darin dokumentiert der Kfz-Software-Experte Felix Domke im Auftrag einer US-amerikanischen Kanzlei insgesamt acht bisher unbekannte Abschalteinrichtungen in einer Mercedes-Benz E-Klasse mit Euro 6 Diesel. Mit diesen nach Auffassung der DUH eindeutig illegalen sogenannten "defeat devices" wird die wirksame Abgasreinigung durch den verbauten SCR-Katalysator reduziert. Das Ergebnis: Die realen Stickoxid-Emissionen auf der Straße liegen bis 500 Prozent über dem gesetzlich festgeschriebenen Grenzwert. Bislang hatte die Daimler AG stets abgestritten, illegale Abschalteinrichtungen bei in Deutschland und Europa verkauften Diesel-Pkw zu verwenden.
"Das Gutachten von Felix Domke überführt Daimler endgültig. Es zeigt uns erstmals, wie es dem Konzern gelingt, im Prüflabor die gesetzlichen Grenzwerte einzuhalten, im realen Straßenbetrieb unsere Städte hingegen mit gesundheitsschädlichen Stickoxiden regelrecht zu fluten. Die Manipulation der Abgasreinigung gibt es nicht etwa, weil dies aus physikalischen Gründen oder zum Zweck des Motorschutzes erforderlich wäre. Der Grund ist so simpel wie zynisch: Es geht um Profitmaximierung zu Lasten der Umwelt und der Gesundheit der Stadtbewohner", sagt Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: "Wir fordern von der neuen Bundesregierung, dass endlich wie in den USA alle Diesel-Fahrzeuge mit Abschalteinrichtungen in der Abgasreinigung entweder stillgelegt oder über einem amtlichen Rückruf auf Kosten der Hersteller repariert werden. Die Weltgesundheitsorganisation hat erst vor Kurzem die Absenkung des Stickstoffdioxid-Grenzwerts von 40 auf 10 µg/m3 im Jahresmittel gefordert. Hierzu müssen alle illegalen Quellen für Dieselabgasgifte ins Visier genommen werden - es muss endlich gehandelt werden."
Insgesamt hat der Experte acht Abschalteinrichtungen entdeckt und ausführlich dokumentiert. Sechs davon stehen im Zusammenhang mit dem SCR-System. Drei hängen dabei von einem "Alterungsfaktor" ab, der die Schwellenwerte deutlich absenkt, bei denen die Abschalteinrichtungen anspringen. In zwei Fällen geschieht dies bereits ab einer Alterung von etwa 1 Prozent bezogen auf die Lebensdauer des Fahrzeugs - also nach wenigen tausend Kilometern Laufleistung. Eine weitere Minderung erfolgt nach circa 20 Prozent Alterung. Zwei illegale Abschalteinrichtungen stehen im Zusammenhang mit dem Abgasrückführ-System des Fahrzeugs. Für sie alle gibt es keinen plausiblen physikalischen Grund.
"Die gefundenen Abschalteinrichtungen aktivieren sich in Fahrsituationen, die auf der Straße üblich sind. Bereits bei normaler Fahrweise verhindert so gut wie immer mindestens eine Abschalteinrichtung die Verbesserung der Emissionen aktiv - auch wenn es physikalisch oder zum Motorschutz gar nicht notwendig ist. So wird die eingespritzte Menge an AdBlue deutlich reduziert, die zur Neutralisierung der Stickoxide im SCR-Katalysator dringend benötigt wird; ähnlich wird die Abgasrückführungsrate reduziert. Oft leistet dadurch die eigentlich fähige Abgasaufbereitungshardware nur einen Bruchteil der möglichen Leistung, das Fahrzeug stößt unnötig große Mengen Stickoxide aus", so Experte Felix Domke.
Gestützt wird das Gutachten durch aktuelle Abgasmessungen des Emissions-Kontroll-Institutes (EKI) der DUH auf der Straße. Sie zeigen, dass der Hersteller Daimler in dem untersuchten Fahrzeug E350T der Euronorm 6 mehrere illegale Abschalteinrichtungen installiert hat. Bei Prüfstandmessungen hält das Fahrzeug die gesetzlichen Stickoxid-Grenzwerte ein. Mit ähnlichem Fahrprofil auf der Straße zeigen die Abgasmessungen des EKI einen Anstieg der Stickoxid-Emissionen jedoch um bis zu 500 Prozent und mehr. Für das hier untersuchte Modell hatte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) bereits ein Software-Update verlangt. In der aktualisierten Software wurden die illegalen Abschalteinrichtungen entfernt. Die Stickoxid-Emissionen liegen dann auch im Straßentest unterhalb des gesetzlichen Grenzwertes. Dies unterstreicht, dass die Hardware des Fahrzeugs schon immer ausreichte, um die Emissionen gesetzeskonform zu reduzieren - dies aber bewusst durch die Softwareprogrammierung verhindert wurde.
"Die Behauptungen der Autohersteller, dass es durch die Fahrbedingungen zu hohen Schadstoffemissionen auf der Straße kommt, werden hier ad absurdum geführt", erklärt der Umwelt- und Verkehrsexperte Axel Friedrich. "Es ist zu hoffen, dass auch die Gerichte den unsinnigen Behauptungen der Autohersteller keinen Glauben mehr schenken und den Autobesitzern endlich zu ihrem Recht verhelfen."
Auch wenn aufgrund des hohen Aufwandes im aktuellen Fall nur ein Fahrzeug ausgewertet wurde, geht der Gutachter davon aus, dass andere Mercedes-Fahrzeuge mit vergleichbaren Motoren und Technologien vergleichbare illegale Abschalteinrichtungen enthalten. Mehrere vom EKI durchgeführte Abgasmessungen an weiteren Mercedes-Diesel-Pkw hatten ebenfalls schon deutliche Hinweise darauf geliefert. Auch das KBA hatte bei einer Vielzahl von Fahrzeugen des Herstellers illegale Abschalteinrichtungen festgestellt.
"Aus rechtlicher Sicht ist die Sachlage klar", kommentiert Glenn Phillips, geschäftsführender Gesellschafter der internationalen Anwaltskanzlei Milberg, die das Gutachten in Auftrag gegeben hatte. "Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass der Daimler-Konzern eine Vielzahl unzulässiger Abschalteinrichtungen installiert hat, die eindeutig gegen geltendes Recht verstoßen. Betroffenen Verbrauchern steht jetzt offensichtlich Schadensersatz zu, schließlich ist ihnen ein mangelhaftes Fahrzeug verkauft worden, für das sie den vollen Kaufpreis bezahlt haben. Rechtlich kann man hier von Betrug sprechen - nicht nur gegen die Umwelt, sondern auch gegen die Kunden. Mercedes-Fahrer sollten jetzt prüfen, ob auch ihr Diesel betroffen ist."
Die Deutsche Umwelthilfe wird das Gutachten, weitere Details und möglichen Folgen morgen bei einer Presskonferenz um 10 Uhr vorstellen. Journalistinnen und Journalisten können sich dafür unter presse@duh.de anmelden.
Hintergrund
Der Verfasser des Gutachtens, Felix Domke, ist Software-Experte für Motorsteuerungen und war bereits als Sachverständiger für das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt tätig zur unabhängigen Analyse der Software-Implementierung in Bezug auf illegale Abschalteinrichtungen. Darüber hinaus fungierte er als Sachverständiger beim parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum VW-Abgasskandal im Jahr 2017.
Domke wurde von der US-Anwaltskanzlei Milberg mit einem Gutachten zur Frage beauftragt, ob Mercedes-Fahrzeuge ihr Abgasreinigungssystem im realen Fahrbetrieb absichtlich herabsetzen. Zu diesem Zweck wurden Messdaten an einem modernen (2015, Euro-6-Abgasnorm) Mercedes-Pkw erhoben, der mit einem SCR-Katalysator (Selective Catalytic Reaction) zur Reduktion der NOx-Emissionen ausgestattet ist. Das Modell ist ein Mercedes E 350 BlueTEC 4MATIC T Motor: OM642, 190 kW, 2987 ccm, 6 Zylinder, Erstzulassung Januar 2016. Zusätzlich wurden die Kalibrierungsdaten des eingebauten Motorsteuergeräts analysiert. Anschließend wurden die Messdaten des Motorsteuergeräts im realen Fahrbetrieb mit den Kalibrierungsdaten korreliert.
Pressekontakt:
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer
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Dr. Axel Friedrich, Internationaler Experte für Luftreinhaltung
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