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Deutsche Umwelthilfe warnt Große Koalition vor Kniefall vor der Autoindustrie

Radolfzell (ots)

Umwelt-Entwurf des Koalitionsvertrags deckt
sich mit Vorstellungen der deutschen Automobilindustrie - 
Russfilterförderung bleibt Schimäre.
Umweltpolitiker wollen EU-Klimaschutz-Verpflichtungen durch 
Einrechnung des Einsatzes von Biokraftstoffen in den Flottenverbrauch
lockern
Berlin, 7. November 2005: Die Große Koalition will im Bereich 
Verkehr auf wirksame Klimaschutz- und Luftreinhaltepolitik 
verzichten. Die zentralen Diskussionen der vergangenen Jahre über die
Feinstaubbelastung in den Städten und die Eindämmung der 
Treibhausgasbelastung durch den Autoverkehr sollen im Sinne der 
deutschen Automobilindustrie und auf Kosten von Gesundheit und 
Klimaschutz entschieden werden. Das ergibt sich nach Überzeugung der 
Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH) aus dem bis dato vorliegenden 
Ergebnisprotokoll der AG Umwelt - Kapitel "Umwelt, Verkehr, 
Immissionsschutz" - der Koalitionsverhandlungen. "Was da zu Papier 
gebracht wurde, ist im Ergebnis die Eins-zu-Eins-Umsetzung des 
Wunschzettels der deutschen Automobilindustrie. In den fraglichen 
Passagen entsteht der Eindruck, als hätte der Verband der deutschen 
Automobilindustrie bei den Verhandlungen der Koalitionsarbeitsgruppe 
Umwelt den Vorsitz geführt", sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen 
Resch.
Nach dem Wortlaut des Papiers sollen gefilterte und ungefilterte 
Diesel-Neufahrzeuge erst ab 2008 unterschiedlich besteuert werden. 
Bis dahin haben sich aber selbst die Nachzügler unter den deutschen 
Herstellern wie der VW-Konzern verpflichtet, keine Diesel-Pkw mehr 
ohne Filter auszuliefern. Der steuerliche Malus wird so zur Schimäre.
Umgekehrt werden Automobilhersteller, die bis 2008 keinen geregelten 
Russfilter anbieten, belohnt. Denn nur ihre Autos werden bei einer - 
noch dazu weniger wirksamen - Nachrüstung bezuschusst. 
Autohersteller, die heute schon serienmäßig 100-Prozent-Rußfilter 
anbieten, müssen dagegen die Mehrkosten ohne Zuschuss an ihre Kunden 
weitergeben. Käufer dieser Fahrzeuge haben keine Aussicht auf 
steuerliche Förderung. Zudem gehen alle Autokäufer leer aus, die sich
seit Anfang 2005 aus Sorge um die Umwelt aber auch im Vertrauen auf 
die Förderzusagen aller politischen Lager für einen 
partikelgefilterten Neuwagen entschieden haben.
Die Formulierung zur Kennzeichnung mit einer Dieselruß-Plakette 
("möglichst einfache und transparente Lösung") lässt sich so 
interpretieren, dass sich die Große Koalition dem Vorschlag des 
Bundesrats von Mitte Oktober anschließt, wonach zwischen Fahrzeugen, 
die nur die derzeit verpflichtende Euro-4-Norm einhalten und 
partikelgefilterten Diesel-Pkw nicht unterschieden wird. Die DUH 
fordert eine gesonderte Kennzeichnung von Pkw und Nutzfahrzeugen, die
über einen 100-Prozent-Partikelfilter verfügen. Resch: "Ohne 
eigenständige Kennzeichnung von rußfreien Dieselfahrzeugen können die
Kommunen in Zukunft nicht differenziert mit Fahrverboten auf hohe 
Feinstaubbelastungen reagieren. Für den Autokäufer entfiele zudem 
jeder Anreiz, jetzt nur noch Diesel-Fahrzeuge mit 100-Prozent-Filter 
zu kaufen".
Als "Kniefall vor der Automobilindustrie" bezeichnete Resch den 
Vorschlag der Koalitionäre, den Einsatz von Biokraftstoffen in die 
Klimaschutzvereinbarung zwischen dem europäischen Automobilverband 
ACEA und der EU-Kommission einzurechnen. Die europäischen Hersteller 
hatten sich verpflichtet, bis 2008 bei Neufahrzeugen eine 
durchschnittliche Emission von 140 g CO2 pro km nicht mehr zu 
überschreiten. Die EU hat zudem 1996 in ihrer Klimaschutzstrategie 
eine weitere Absenkung der CO2-Emissionen auf 120 g pro km 
beschlossen.
Die DUH hatte erst Ende Oktober nachgewiesen, dass die deutschen 
Autohersteller dieses Ziel faktisch aufgegeben und sich strategisch 
vom Bau spritsparender Pkw verabschiedet haben. Viele ausländische 
Marken können dagegen nach der DUH-Übersicht inzwischen erheblich 
effizientere Flottenverbräuche vorweisen. Der Verband der deutschen 
Automobilindustrie (VDA) widersprach daraufhin der DUH-Darstellung 
und erklärte, man werde diese Vereinbarung sicher erfüllen. Resch: 
"Es gibt nicht den geringsten Grund, die Autohersteller mit dem 
durchsichtigen Trick der Biosprit-Einrechnung aus der Verpflichtung 
zu entlassen, verbrauchsärmere Fahrzeuge zu bauen. Der auch von uns 
geteilte Wunsch, den Anteil regenerativ erzeugter Kraftstoffe zu 
erhöhen, ändert nichts an der Notwendigkeit, effizientere Autos zu 
bauen."
Die deutschen Autobauer bestätigen in ihren Publikationen selbst 
das EU-Ziel aus dem Jahr 1996, den durchschnittlichen 
Flottenverbrauch bis spätestens 2010 auf 120 g CO2 pro km zu senken. 
Resch: "Die neue Bundesregierung sollte sich auf EU-Ebene für 
konkrete Höchstverbräuche einsetzen, um diese Zielsetzung verbindlich
zu machen. Es wäre ein Stück aus dem Tollhaus, wenn die große 
Koalition stattdessen in vorauseilendem Gehorsam eine nachträgliche 
Lockerung des Klimaziels in ihr Programm schriebe. Die Formulierung 
der AG Umwelt fordert die Autoindustrie geradezu auf, gegenüber der 
heute gültigen Vereinbarung bis zu 10 % höhere Spritverbräuche zu 
realisieren."
Nach Informationen der DUH haben Volkswagen und Ford bereits vor 
etwa drei Jahren auf EU-Ebene eine Initiative mit dem Ziel gestartet,
die so genannten "Monitoring Rules" der Klimavereinbarung zwischen 
ACEA und EU dahingehend zu ändern, dass der Anteil von 
Biokraftstoffen im Kraftstoffmix als Minderungsleistung eingerechnet 
wird. Der Vorschlag wurde seinerzeit in Brüssel abgewiesen. Die EU 
hat stattdessen ausdrücklich festgelegt, dass beides - zusätzliche 
CO2-Emissionen, die bei der Primärenergie- und Kraftstoffproduktion 
entstehen einerseits, und mögliche Einsparungen durch den Einsatz 
Biokraftstoffen andererseits - unberücksichtigt bleibt. Die 
ACEA-Verpflichtung bezieht sich also ausschließlich auf die 
CO2-Menge, die am Ende aus dem Auspuff kommt. Die DUH empfindet es 
als verwunderlich, dass ausgerechnet die Umweltpolitiker von SPD, CDU
und CSU einen eigenen Vorstoß unternehmen, die 
Klimaschutzanforderungen an die Automobilindustrie aufzuweichen und 
EU-Klimaschutzstrategien aktiv zu unterlaufen.
Diese Initiative deckt sich mit aktuellen Versuchen der deutschen 
und europäischen Automobilindustrie, die Reduktionsanstrengungen von 
den fahrzeugseitigen Minderungen weg und hin zu Maßnahmen in der 
gesamten Mobilitätskette zu bewegen. Dieser intern als "integrierter 
Ansatz" kommunizierte Entlastungsversuch der Automobilindustrie soll 
dazu dienen, "kostspielige technische Maßnahmen" zu vermeiden. Er hat
offenbar direkten Eingang in die Koalitionsverhandlungen gefunden.
Resch: "Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass im 
Verkehrsbereich unter dem Deckmantel gefälliger Lyrik ein Rollback in
der Klimaschutz- und Luftreinhaltepolitik vorbereitet wird. Der 
Einfluss mächtiger Industrielobbys auf die Verhandlungen ist offenbar
größer als wir in unseren schlimmsten Träumen befürchten mussten."
Für Rückfragen:
Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH), Hackescher Markt 4, 
10178 Berlin, 
Tel.: 030/ 25 89 86-0 Tel.: 0171/ 3649170, E-Mail:  resch@duh.de
Dr. Gerd Rosenkranz, Deutsche Umwelthilfe e.V., Hackescher Markt 4, 
10178 Berlin, 
Tel.: 030/ 25 89 86-15, mobil 0171/ 56 60 577, E-Mail:  
rosenkranz@duh.de

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