Föderalismusreform: Deutsche Umwelthilfe fürchtet "Verschlimmbesserung" beim Umweltrecht
Berlin (ots)
Mit dem Vorschlag von Union und SPD droht ein Länder-Wettbewerb um den schlanksten Umweltschutz - Übergangsvorschriften sind geeignet, statt Bürokratieabbau neuen Bund-Länder-Streit und eine Gesetzeslawine auszulösen - Umsetzung von EU-Richtlinien wird noch komplizierter
Berlin, 10. November 2005: Die von Union und SPD geplante Föderalismusreform stellt die erreichten Standards im deutschen Umwelt- und Naturschutz massiv in Frage. Die Bundesländer treten in einen Wettbewerb um den schlanksten Schutz der Natur. Das eigentlich vernünftige Projekt eines einheitlichen Umweltgesetzbuches droht sich durch die Abweichungsrechte der Länder in sein Gegenteil zu verkehren. Schließlich provozieren die geplanten Übergangsvorschriften im Naturschutzbereich statt Bürokratieabbau eine regelrechte Gesetzesflut. Zu diesem ernüchternden Ergebnis kommt die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH) nach einer juristischen Prüfung des Vorschlags der künftigen Regierungsfraktionen.
"Es bestätigt sich einmal mehr die zynische Wahrheit: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht ", so DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Die Stärkung der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes gegenüber den Ländern in den Bereichen Naturschutz, Landschaftspflege, Wasserhaushalt und Jagdwesen werde mit der neu geschaffenen "Abweichungsgesetzgebung" unmittelbar in ihr Gegenteil verkehrt. Danach können die Länder ohne jede Begründung von den Bundesvorschriften abweichen und sie geradezu in ihr Gegenteil verkehren. Das ergebe sich insbesondere aus dem angehängten "Begleittext". Danach darf der Bund sich zwar um die Definition allgemeiner Naturschutzgrundsätze kümmern, über die Hardware - Landschaftsplanung, konkrete Inhalte der Schutzgebietsausweisung, die so genannte gute fachliche Praxis in Land- und Forstwirtschaft oder die Mitwirkungsrechte der Naturschutzverbände - können jedoch bestimmen die Länder in eigener Regie bestimmen.
Im Ergebnis bedeute ein solcher Rechtsrahmen nicht nur einen Anschlag auf die erreichten Naturschutzstandards in Deutschland, er stelle darüber hinaus die Einheitlichkeit der Gesetzgebung in Frage, so Cornelia Ziehm, Leiterin Verbraucherschutz und Recht der DUH: "Jedes Kind weiß heute, dass Umweltprobleme in aller Regel nicht an Landesgrenzen halt machen. Deshalb sind gerade im Natur- und Gewässerschutz einheitliche Vorschriften unverzichtbar". Außerdem sei vollkommen unklar, wie der gegenüber der EU allein verantwortliche Bund, die Bundesländer künftig zu europarechtskonformem Verhalten veranlassen soll. Da helfe auch eine "EU-Haftungsregelung" (vorgesehen in Art. 104a Abs. 6 GG) nicht weiter, die letztlich lediglich geltendes Recht bekräftige, aber keine unmittelbaren Durchgriffsrechte des Bundes gegenüber den Ländern begründe. Ziehm: "Die mangelnde Umsetzung von EU-Vorgaben, wie in der Vergangenheit die vollkommen verspätete und unzureichende Meldung von FFH- und Vogelschutzgebieten durch die meisten Länder, hat Deutschland schon bisher reihenweise Vertragsverletzungsverfahren eingebracht. Der Vorschlag von Union und SPD verschlimmbessert diese Situation."
Zugleich müssen sich Union und SPD fragen lassen, wie ernst sie die Schaffung eines Umweltgesetzbuches meinen. Denn die damit - zu recht - bezweckte Harmonisierung der Umweltschutzvorschriften würde durch die Abweichungskompetenzen der Länder von vornherein konterkariert.
Die Föderalismusreform, die zur Vereinfachung und zu größerer Entscheidungstransparenz im föderalen Staat gedacht war, könnte nach Überzeugung der DUH das glatte Gegenteil bewirken. Die weit hinten in einem neuen Grundgesetz versteckte Übergangsvorschrift (Art. 125a GG) sei geeignet eine wahre Gesetzesflut auszulösen - zu Lasten des von den Ländern ohnehin wenig geliebten Naturschutzes. Sie eröffnet den Ländern die Möglichkeit, geltendes Bundesrecht, das nach der Reform nicht mehr wie bisher erlassen werden könnte, nachträglich durch Landesrecht zu ersetzen. So könnte beispielsweise das gerade erst nach Jahrzehnten des Bund-Länder-Streits vom Bund gegen die meisten Länder novellierte Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) - ein Rahmengesetz, das es künftig nicht mehr geben soll - nach Inkrafttreten der Reform 16 Gesetzesinitiativen für abweichende Landesnaturschutzgesetze auslösen. Damit nicht genug, der Bund würde wohl versuchen, die Länder über seine neuen Kompetenzen im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung mit einer erneuten, nun konkreteren BNatSchG-Novelle an die Leine zu legen. Darauf könnten dann jedoch die Länder wiederum im Rahmen ihrer Abweichungskompetenzen mit eigenen Regelungenreagieren. Ziehm: "Es droht ein unsägliches Ping-Pong-Spiel zwischen Bund und Ländern, das zu allem Möglichen führen wird, aber nicht zu mehr Effektivität im Umwelt- und Naturschutz und ebenso wenig zum Bürokratieabbau."
Angesichts derart fundamentaler Defizite des Vorschlags zur Föderalismusreform fordert die DUH Union und SPD auf, ihre Vorstellungen noch einmal zu überprüfen. Resch: "Dieser Entwurf ist zum Scheitern verurteilt. Noch bleibt Zeit, die undurchdachten Leitlinien so zu überarbeiten, dass daraus ein konsistenter Vorschlag zur Novellierung des Grundgesetzes wird. Nach Hartz IV sollte die Politik nicht schon wieder eine Großreform in den Sand setzen."
Für Rückfragen: Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH), Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030/ 25 89 86-0 Tel.: 0171/ 3649170, E-Mail: resch@duh.de
Dr. Cornelia Ziehm, Deutsche Umwelthilfe e.V., Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030/ 25 89 86-18, mobil 0160/5337376, E-Mail: ziehm@duh.de
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